Autor: Armin Trost

TESTEN SIE IHR FÜHRUNGSVERSTÄNDNIS

Was ist Ihr Verständnis guter Führung?

Dieser kurze Test, bestehend aus 40 Fragen hilft Ihnen, Ihr Verständnis guter Führung klarer zu fassen. Als Ergebnis erhalten Sie eine Einschätzung, wie sehr Sie als Führungskraft in Ihrem Führungsalltag unterschiedliche Führungsrollen präferieren.

Hier geht’s zum Test. Legen Sie einfach mal los. Die Sache dauert nur wenige Minuten.

  • Mein Buch zur Thematik

    In diesem Buch steht nicht, was das „richtige“ Führungsverständnis ist. Es wird gezeigt, wie man es entwickelt, vermittelt und danach handelt.

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  • Mein Ansatz im Überblick

    Hier finden Sie einen Überblick über meinen Ansatz. Er ist erprobt und funktioniert. Führungskräfte schätzen ihn.

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  • Vier Führungsrollen

    Ich unterscheide 4 Führungsrollen, die Führungskräfte als Bausteine ihres Führungsverständnisses im Sinne eines „Default Setting“ priorisieren können.

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FRAUEN IN TECHNIK

WARUM ES WENIGER FRAUEN IN TECHNIK­BERUFEN GIBT UND WAS WIR DAGEGEN TUN KÖNNEN

Es gibt einen Befund in der wissenschaftlichen Psychologie, der so robust ist, wie kaum ein anderer. Demnach interessieren sich Männer mehr für Dinge und Frauen mehr für Menschen. Technik hat mit Dingen zu tun. Deshalb wundere ich mich nicht, dass in einer meiner Domänen (HR) Frauen deutlich in der Überzahl sind. Darüber hinaus weiß jeder ernstzunehmende, wissenschaftlich gebildete Psychologe, Ethologe oder Biologe, dass dieser Unterschied in erster Linie genetisch bedingt ist.

Tatsächlich aber ist dieser Unterschied im Durchschnitt eher marginal. Wenn man einen Mann vor sich hat, dann kann mit einer Treffsicherheit von 60% vorhersagen, dass sich diese Person eher für Dinge oder für Technik interessiert. Es sind 60% und nicht 80, 90 oder gar 100%. Die Behauptung also, Frauen würden sich pauschal nicht für Technik interessieren, wäre falsch oder gar sexistisch. Bei den kognitiven Voraussetzungen gibt es zudem keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, beispielsweise in Bezug auf Intelligenz. Vertreter beider Geschlechter wären in Technikberufen gleich kompetent. Wir können eher beobachten, dass in der Schule Mädchen in Fächern wie Mathe oder Physik zunehmend besser abschneiden als ihre männlichen Altersgenossen. Umso tragischer ist es, dass so wenige Frauen ihren Weg in Technikberufe finden.

Nun sind Menschen von Natur aus divers. Sie unterscheiden sich. Als Wissenschaftler drücken wir das so aus: Die Intragruppenvarianz innerhalb einer Geschlechtergruppe ist groß. Das bedeutet, dass es erhebliche Unterschiede in Bezug auf das Interesse an Technik innerhalb der Gruppe der Frauen als auch in der Gruppe der Männer gibt. Es gibt sehr viele Frauen, die sich für Technik interessieren. Auch gibt es viele Männer, die sich eher für Menschen interessieren. Ich bin einer davon (bin Psychologe).

Interessant sind nun die Extreme in der Verteilung. Um sich beispielsweise für ein Studium der Ingenieurswissenschaften oder der Informatik zu entscheiden, sollte man sich für Technik interessieren. Das sollte uns nicht überraschen. Ingenieure interessieren sich eben für Technik. Und wenn sie das nicht täten, würden sie vermutlich keine erfolgreichen Ingenieure. Auch würden sie wahrscheinlich geringere Aussichten haben, in technikdominierten Disziplinen in eine Führungsposition zu gelangen. Auch das sollte uns nicht besonders überraschen.

Aber nun kommt der entscheidende Punkt. Schaut man sich die Extreme zweier überlappender Verteilungen an, dann findet man in diesen Extremausprägungen vorwiegend Männer oder vorwiegend Frauen, je nachdem auf welche Seite der Verteilung man blickt (siehe Abbildung). Umso stärker das Interesse an Technik, desto größer wird der Männeranteil, und umgekehrt. Diejenigen, die sich am allerwenigsten für Technik interessieren, sind vorwiegend Frauen. Während wir also im Durchschnitt einen marginalen Unterschied sehen, erkennen wir in den extremen Bereichen erhebliche Häufigkeitsunterschiede zwischen den Geschlechtern.

Das ist aus psychologischer, wissenschaftlicher Sicht die unbestrittene Erklärung dafür, warum es weniger Frauen in Technikberufen gibt und warum sich dieser Umstand auch in Zukunft kaum ändern wird, es sei denn, wir bemühen uns darum, die menschliche Seite in Technikberufen hervorzuheben.

Wir praktizieren das an unserer Hochschule seit Jahren erfolgreich. Beispielsweise haben wir einen Ingenieurstudiengang mit interkulturellen Fragestellungen angereichert. Sprachen, interkulturelle Zusammenarbeit usw. Der Studiengang heißt International Engineering und hat einen überdurchschnittlich hohen, glücklichen, kompetenten Frauenanteil. Alle Absolventen gehen erfolgreich ihren Weg. Das finde ich lösungsorientiert, unideologisch, innovativ, großartig. So ticken wir hier, im mittelstandsgeprägten Schwarzwald.

Natürlich können in Bezug auf die ungleiche Geschlechterverteilung in Technikberufen auch andere Gründe aufgeführt werden: Vorurteile gegenüber Frauen, Diskriminierung, Unterdrückung der marginalisierten, weiblichen Minderheit durch patriarchalische, männerdominierte Strukturen, eine geringer ausgeprägte Selbstwirksamkeit aufseiten der Frauen, weil sie sich tendenziell weniger zutrauen, frühe, geschlechterstereotype Sozialisierung usw. Zu all den Argumenten gäbe es viel zu sagen, was ich an dieser Stelle nicht tun möchte. Wir können uns empören, Gendern, auf die Straße gehen, Quoten etablieren, einen pauschalen Post nach dem anderen über vermeintliche Ungerechtigkeiten raushauen. Viel Glück damit.

Wichtig scheint mir, auf die oben dargestellte, statistische, wissenschaftlich fundierte Erklärung hinzuweisen und dazu einzuladen, Lösungen zu suchen, die der sozialen Realität gerecht werden. Meines Erachtens wird dieser wissenschaftliche Gedanke in der öffentlichen Debatte zu sehr ignoriert oder gar ideologisch geleugnet.

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WAS SOLL ICH MACHEN

Was soll ich machen?

Kürzlich stolperte ich über das wunderbare Zitat von Theodor Storm: „Der eine fragt: Was kommt danach? Der andre fragt nur: Ist es recht? Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht“. Das erinnerte mich an zwei klassische Fragen, die Führungskräfte von ihren Geführten chronisch gestellt bekommen. Die eine Frage lautet: „Was soll ich machen?“ und die andere „Ist das in Ordnung so?“. Meist folgt die zweite Frage der ersten, nur eben zeitversetzt.

Nun sollte man in eine einzige Frage sicherlich nicht mehr hineininterpretieren, als es angebracht ist. Trotzdem will ich eine Hypothese über die empfundene Führungskraft-Geführten-Beziehung aufseiten eines Mitarbeiters wagen, wenn dieser wieder einmal die Frage „Was soll ich machen?“ stellt.

Gehen wir praktischerweise von dem typischen Fall aus, es bestünde tatsächlich ein konkretes Problem, das ein Lösung erfordert. Irgendetwas unerwartetes ist passiert oder es läuft etwas nicht ganz so, wie es sein sollte. Und nun kommt sie, die berühmte, millionenfach gestellte Was-soll-ich-machen-Frage. Wir wissen nicht exakt, was in dem Mitarbeiter in diesem Moment vorgeht. Aber folgende impliziten oder expliziten Annahmen scheinen naheliegend:

  • Ich kann oder will oder darf nicht über eine Lösung nachdenken. Ich bin in meinem Denk- und Handlungsvermögen intern, extern oder in beidem limitiert. Deshalb frage ich lieber eine Instanz, die weniger limitiert ist, als ich.
  • Meine Führungskraft kann und will über eine Lösung nachdenken. Sie ist mir in ihren Möglichkeiten und Kompetenzen überlegen. Deshalb liegt es an ihr, über eine Lösung nachzudenken und mir zu sagen, was ich tun soll. Das erwartet sie in einer solchen Situation auch.

Natürlich ist diese Sichtweise auf die eigene Beziehung zur Führungskraft für den Mitarbeiter eine sehr einfache oder gar eine bequeme. Man vermeidet den eigenen Aufwand und minimiert das Risiko einer Fehlentscheidung. Und als Führungskraft wahrt man die Kontrolle.

Nun habe ich an dieser Stelle wiederholt auf die unterschiedlichen Rollen hingewiesen, die Führungskräfte einnehmen können: Boss, Coach, Partner und Befähiger. Mit der Was-soll-ich-machen-Frage drängt ein Mitarbeiter seine Führungskraft in die Boss-Rolle. Im Sinne des großartigen Paul Watzlawick und seiner Axiome menschlicher Kommunikation, wird mit dieser Frage ein Verständnis der Beziehung transportiert. Der Mitarbeiter stellt also nicht nur eine inhaltliche Frage, sondern vermittelt, wie er oder sie das Führungsverständnis seiner Führungskraft und damit die Führungskraft-Geführten-Beziehung interpretiert. Es liegt nun in der Verantwortung der Führungskraft, zu entscheiden, ob sie dieses Verständnis teilt bzw. akzeptiert. Alltäglich gefragt, müsste sich die Führungskraft fragen, ob sie sich diesen Schuh anzieht. Wenn sie das tut und sich primär in der Rolle des Bosses sieht, ist zunächst alles fein. Ansonsten besteht Klärungsbedarf. Tatsächlich erfordern viele Führungsumwelten genau das: einen Boss. Wir wollen diese Rolle und das entsprechende Mitarbeiterverhalten also nicht pauschal verteufeln.

Wird aber dieser mögliche Klärungsbedarf weder erkannt noch adressiert, sind Missverständnisse, Frustration, geringere Zufriedenheit und reduzierte Produktivität die natürlichen Folgen. Der Knecht stellt gehorsam seine Was-soll-ich-machen-Frage, meint damit, das Richtige zu tun und die Führungskraft fühlt sich ihrerseits unwohl in der Situation, den Knochen auf den Tisch geworfen zu bekommen. „Meine Güte, er weiß doch, was zu tun ist. Warum habe ich ihn, wenn ich am Ende alle Probleme selbst lösen muss?“

Eine Form, das eigene Führungsverständnis zu vermitteln besteht sicherlich im konkreten Handeln. Wie würde eine Führungskraft also reagieren, wenn sie sich diesen Schuh nicht anzöge und eine Rolle präferierte, die von der Boss-Rolle abweicht?

  • Als Coach wird sie fragen, was der Mitarbeiter denn selbst vorschlägt, was zu tun sei. Die Führungskraft geht davon aus, dass der Mitarbeiter über das notwendige Potenzial verfügt, selbst über eine geeignete Lösung nachzudenken.
  • Als Partner lädt die Führungskraft den Mitarbeiter ein, gemeinsam über das Problem nachzudenken, um dann gemeinsam zu entscheiden, was gemeinsam zu tun sein. Gemeinsam, gemeinsam, gemeinsam.
  • Als Befähiger fragt sich die Führungskraft, was der Mitarbeiter benötigt, um selbst zu einer Lösung zu gelangen und diese umzusetzen. Oder sie fragt direkt: „Was brauchen Sie?“.

Als Führungskraft ist es unsere Aufgabe, unser Führungsverständnis zu definieren und es kontinuierlich und konsequent zu vermitteln. Dies fordert ein hohes Maß an Achtsamkeit, nicht selten minütlich. Dazu gehört es auch, bewusst auf Fragen, wie die Was-soll-ich-machen-Frage zu reagieren. Das ist nicht immer einfach und erfordert aufseiten der Führungskraft eine kontinuierliche Selbstreflexion.

Erstaunlich eigentlich, wie viel man in Bezug auf eine einzige, einfache Frage über Führung lernen kann.

  • Mein Buch zur Thematik

    In diesem Buch steht nicht, was das „richtige“ Führungsverständnis ist. Es wird gezeigt, wie man es entwickelt, vermittelt und danach handelt.

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NARZISSTISCHE FÜHRUNGSKRAFT

Die narzisstische Führungskraft

Selbstreflektion ist eine wesentliche Voraussetzung, um als Führungskraft wirksam und erfolgreich sein zu können. Sie umfasst die Entwicklung eines klares Rollenverständnisses innerhalb eines Führungskontexts und davon ausgehend die Entwicklung einer funktionierenden Führungskraft-Geführten-Beziehung, in der die eigene Rollendefinition und die Rollenzuschreibung der Geführten in Einklang stehen.

Es gibt aber eine bestimmte Gruppe von Führungskräften, bei der diese Form der gesunden Selbstreflektion an harte Grenzen stößt. Die Rede ist von narzisstischen Führungskräften.

Man geht, davon aus, dass circa 1 Prozent der Bevölkerung diese Persönlichkeitsstörung aufweist. Dabei leben Männer ihren Narzissmus tendenziell offener aus, als es Frauen tun, was es allerdings nicht besser macht. Ein Narzisst kann das Leben zahlreicher Mitarbeiter und Kollegen zur Hölle machen, weswegen man von einem deutlich größeren Kreis Betroffener ausgehen muss. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass Narzissten aufgrund ihrer ausgeprägten Ambition, ihrer Energie, ihrer unbedingten Leistungsbereitschaft und ihrer Strahlkraft nicht selten höhere Chancen auf eine Beförderung haben.

Woran erkennt man einen narzisstischen Chef? Zunächst gar nicht! Eine Beziehung zu einem Narzissten ist auch im Kontext einer Führungskraft-Geführten-Beziehung zunächst wunderbar. Der Himmel auf Erden, totale Wertschätzung, innige Verschmelzung, Dream-Team. Erst nach einer gewissen Zeit kommt die ganze Härte der Persönlichkeitsstörung zum Vorschein.

Nun kann man sich an einer Heuristik orientieren, der 4-E-Regel. Narzissten sind egozentrisch, handeln entwertend, sind überaus empfindlich und weisen eine Empathie ohne Mitgefühl auf.

Das schauen wir uns nun genauer an.

Egozentrismus. Ein narzisstischer Chef muss im Mittelpunkt stehen und will chronisch bewundert werden. Alles, was getan wird, muss auf ihn strahlen. Man arbeitet „für“ ihn, nicht mit ihm. Er sieht sich als das Zentrum des Universums. Das Ich ist wegweisend. „Ich will ..“, „Ich erwarte ..“, „Ich habe aber gesagt, dass ..“. Der Narzisst pflegt Social-Media-Auftritte, in denen seine Person die meist beliebige Botschaft überstrahlt. Narzisstische Chefs überhöhen sich, können unablässig darüber referieren, wie toll sie sind, was sie alles geleistet haben, lenken jede Kommunikation auf ihre Außerordentlichkeit. Die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge verschwimmt. Andere, Kollegen, Mitarbeiter haben im Umfeld eines Narzissten keinen Raum. Deren Rolle beschränkt sich darauf, Applaus zu spenden und dem Chef zu weiterer Strahlkraft zu verhelfen.

Entwertung. Ab einer bestimmten Phase werden Kollegen und Mitarbeiter genüsslich klein gemacht, um selbst als Überlegener aus dem Rennen zu gehen. Das erfolgt subtil, mittels manipulativer Maßnahmen. Gaslighting ist so eine Taktik. Der Narzisst vermittelt dem Mitarbeiter das Gefühl, komplett neben der Spur zu sein. „Wie? Sie haben das nicht gewusst?“, „Das passiert Ihnen jetzt aber nicht zum ersten mal, oder?“. Ignorieren, an die Wand laufen lassen, Kollegen vor versammelter Mannschaft entblößen. Das Repertoire scheint endlos und überaus kreativ oder geschickt.

Empfindlichkeit. Man sollte es nie nie nie wagen, einem Narzissten zu widersprechen oder ihm irgendeinen Wunsch nicht zu erfüllen. Ansonsten gnade Dir Gott! Ein Narzisst erwartet ausschließlich Anerkennung, Wertschätzung und bedingungslose Liebe, von der er als Kind meist vergebens geträumt hat. Alles, was nicht in diese Kategorien passt, überfordert den Narzissten hoffnungslos. Sie leiden dann wirklich. Es ist nicht möglich, einem Narzissten konstruktives Feedback zu geben. Gerade in diesem Aspekt zeigt sich die eigentliche, infantile Schwäche des Narzissten.

Empathielosigkeit. Es wird oft gesagt, Narzissten seien empathielos. Das sind sie aber nur auf eine bestimmte Weise. Tatsächlich verstehen sie ihr Gegenüber extrem gut. Sie kennen die Softspots und wissen, wie sie Andere manipulieren und dadurch zur Verzweiflung bringen können. Ihre tiefe Einsicht in die Psyche Anderer löst aber keinerlei Mitgefühl als. Im Gegenteil. Sie schützen sich vor den Gefühlen Anderer, was sie beispielsweise zur geschickten Anwendung des so genannten Heiße-Kartoffel-Prinzips befähigt. Anstatt eigene Schmerzen, Verletzungen oder narzisstische Kränkungen zu bewältigen, lassen sie Andere diese austragen. Während der Chef bereits ambitioniert auf dem Golfplatz steht, zermürbt sich der Mitarbeiter in heftigstem Selbstzweifel. Letzteres merkt der Narzisst nicht, oder es ist ihm schlichtweg egal.

Wie gesagt, diese Heuristiken sind nur Daumenregeln. Wir sind heute schnell dabei, Chefs als Narzissten zu bezeichnen, vielleicht auch, um die eigene Gekränktheit und Verletzlichkeit von uns zu weißen. Eine echte Diagnose kann nur ein Profi ausstellen. Schade nur, dass Narzissten eher selten nach psychologischer Beratung fragen. Gut für den Psychologen, könnte man meinen. Am Ende würde vermutlich der Therapeut selbst an sich zweifeln.

Was tun, wenn man einen narzisstischen Chef hat? Die Antwort ist ziemlich klar. Renne, so schnell Du kannst und breche alle Brücken ab. Alle! Verzichte auf eine Erklärung. Tu’s einfach. Ist das immer so einfach möglich? Nein, natürlich nicht. Für Viele beginnt die eigentliche Hölle erst nach dem Abschied oder nach der freiwilligen Kündigung.

Die funktionierende Führungskraft-Geführten-Beziehung

Die Reflexion des eigenen Führungsverständnisses und der jeweiligen Führungsumwelt ist für eine funktionierende, vertrauensvolle Beziehung zu den Geführten unerlässlich

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KÜNDIGUNGSSTRATEGIEN

Warum und wie Mitarbeiter kündigen

Ich bin sie leid, all diese Studien, die erklären, warum Mitarbeiter freiwillig ihren aktuellen Arbeitgeber verlassen. Sie unterstellen, Mitarbeiter seien auf der Flucht. Deshalb wird meist nach Gründen gefragt, die beim aktuellen Arbeitgeber selbst zu suchen seien: kaum Perspektiven, zu wenig Wertschätzung, zu wenig Lohn, schlechte Führung usw. usw. Implizit gehen diese Studien davon aus, Mitarbeiter würden ihr Unternehmen verlassen. Technisch tun sie das auch. Aber vielleicht gehen die Mitarbeiter nicht weg, sondern irgendwo hin. Warum? Nicht selten deshalb, weil sie Verantwortung für ihr Leben und ihre Karriere übernehmen.

Nehmen wir mein eigenes Beispiel. 2005 wurde ich oft gefragt, warum ich SAP verlassen hätte. Meine Antwort: „Ich habe SAP nicht verlassen. Ich wollte Professor werden und beides gleichzeitig geht leider nicht. Ich bin nicht von SAP weg, sondern zur Hochschule hin. SAP an sich ist ein super Arbeitgeber und meinen Job habe ich geliebt“.

Natürlich gibt es sie auch, jene Mitarbeiter, die vor allem eines wollen: weg. Grundsätzlich sollten wir aber unterscheiden, ob der aktuelle Job oder die Alternative der Antrieb der Kündigung ist.

Unabhängig davon gibt es Menschen, die bei Ihrer Kündigung intuitiv bzw. emotional entscheiden. Sie handeln aus einem Gefühl heraus und machen sich möglicherweise wenig oder zu wenig Gedanken über ihren Karriereschritt. Aber ist gibt auch jene, die rational entscheiden. Sie machen es sich nicht leicht, hadern mit ihrer Entscheidung, denken nach, wägen ab. Aber am Ende treffen sie ihre Entscheidung bewusst.

Kombiniert man nun diese beiden Dimensionen, dann ergeben sich daraus vier Strategien der Kündigungsentscheidung. Es ist wichtig, diese zu differenzieren, weil sich daraus sehr unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten für Arbeitgeber ergeben.

Flucht. Ein Mitarbeiter entscheidet intuitiv, emotional, dass er oder sie wegwill. Alles andere ist besser als ein weiterer Tag im aktuellen Job. Hier treiben die Verzweiflung und der Frust. Die Lösung? Rechtzeitig Verständnis zeigen und überlegen, was man an den Arbeitsbedingungen verbessern kann.

Strategie. Ein Mitarbeiter macht sich tiefgreifende Gedanken über seine Zukunft und entscheidet sich bewusst dafür, dass ein Wechsel in einen anderen Job, in einem anderen Land, in einer anderen Branche wertvoll für seinen Karriereweg sei. Die entsprechende Alternative erscheint dafür als das sinnvollste, was dieser Mitarbeiter tun kann und soll. Eine mögliche Lösung? Diesen Mitarbeiter zu seiner wohlüberlegten Entscheidung beglückwünschen, alles Gute mit auf den Weg geben und auf jeden Fall in Kontakt bleiben.

Lösung. Manchmal können Mitarbeiter (vielleicht aus privaten Gründen) einen Job nicht mehr ausüben. Die Rahmenbedingungen passen nicht oder nicht mehr. Zu wenig Flexibilität, zu lange Anfahrtszeiten, das Geld reicht nicht. Der Mitarbeiter ringt um eine Lösung und sieht den einzigen Weg darin, den Job zu verlassen. Das Ganze ist gut überlegt. Eine mögliche Lösung? Intern eine machbare Lösung für den Mitarbeiter finden.

Exploration. Ein Mitarbeiter fühlt sich von einem alternativen Job-Angebot irgendwie angezogen. Es fühlt sich gut an. Er oder sie hat Angst, eine super Möglichkeit zu verpassen und ist getrieben von der Alternative. Eine starke Arbeitgebermarke, die Leute dort waren total nett, man fühlt sich geschmeichelt usw. Gefühle dominieren über das rationale Denken. Eine mögliche Lösung? Einen gewinnenden, charmanten Gegenvorschlag anbieten.

Das Thema Mitarbeiterbindung ist derzeit zurecht in aller Munde. Nicht zuletzt deshalb lohnt es sich, weniger nur an sich als Arbeitgeber zu denken und sich aus egozentrischem Selbstmitleid heraus zu fragen: „Was haben wir nur falsch gemacht?“. Vielleicht sollten wir besser die Mitarbeiter erstnehmen und ihre wahren Gründe und Entscheidungswege begreifen.

  • Mehr zum Thema Mitarbeiterbindung

    In diesem Buch widme ich ein ganzes Kapitel der Frage, wie man mit dem Thema Mitarbeiterbindung strategisch umgehen kann

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  • Mitarbeiterbindung auf die Ohren

    In meinem Podcast geht es auch um Mitarbeiterbindung

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  • Führung und Mitarbeiterbindung

    Eine wesentlicher Faktor für Mitarbeiterbindung ist eine funktionierende Führungskraft-Geführten-Beziehung

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BLOG Wie führen Sie?

Wie führen Sie?

Würde man einen Piloten fragen, wie er oder sie sein Flugzeug von A nach B fliegt, dann würden wir eine klare Antwort erwarten. Würden wir einen Koch fragen, wie er oder sie den Hirschrücken zubereitet, könnte er oder sie es erläutern. Fragt man, einen erfahrenen Krankenpfleger, wie er oder sie Blut abnimmt, bekäme man sicherlich eine eindeutige Antwort.

Wir erwarten von Profis, dass sie mehr oder weniger sagen können, wie sie ihre Rolle ausüben. Sicherlich sind zahlreiche Handlungen so sehr internalisiert, dass man sich zuweilen schwertäte, die genauen Handlungsschritte in Worte zu fassen. Aber auch einer internalisierten, automatisierten Tätigkeit ging irgendwann eine bewusste Ausübung der Tätigkeit voraus. Fragen Sie mich also bitte nicht, wie ich „Stairways to Heaven“ auf der Gitarre spiele.

Wenn ich nun mit Führungskräften arbeite, stelle ich gerne dieselbe Frage: „Wie führen Sie?“. Gerne mache ich das konkret, im Rahmen einer kleinen Übung. Das klingt dann so:

Also, meine Damen, meine Herren. Sie sind ja Führungskräfte. Jetzt nehmen Sie bitte diesen leeren Zettel und formulieren Sie, wie Sie Ihre Mitarbeiter führen. Sie haben 10 Minuten Zeit. Los geht‘s“.

Natürlich ist mir in diesem Moment bewusst, dass diese Aufgabenstellung keine einfache ist. Ist sie aber unfair oder unangemessen? Ich denke nicht. Gerne lade ich alle Führungskräfte, die diesen Beitrag lesen, dazu ein, kurz innezuhalten und zu reflektieren, wie sie selbst diese Frage beantworten würden.

Erfahrungsgemäß klingen sieben bis acht von zehn Antworten am Ende so:

Ja, gute Frage (Ähem). Das ist schwer zu sagen, kann man so pauschal nicht beantworten. Führung ist doch immer auch situativ, hängt von vielen Dingen ab. Und dann ist das mal so oder auch mal so. Als Führungskraft handelt man doch auch intuitiv, oder?“.

Ist das nun eine gute Antwort? Sie klingt nach „irgendwie“.

Interessant ist aber, dass es üblicherweise zwei bis drei Führungskräfte gibt, die um eine klare Antwort nicht verlegen sind. Das kann dann auch mal so klingen:

Gute Frage, Danke! Darüber denke ich nach, seitdem ich Führungskraft bin. Aktuell würde ich die Frage so beantworten: Bei Problemen oder Entscheidungen denke ich nach, was zu tun ist, mache eine klare Ansage an meine Leute. Meist halte ich dann nach und schaue, was passiert und wie erfolgreich wir sind.“

Diese Antwort klingt „bossy“.

Es gibt aber auch solche Antworten:

Ich habe eine Weile gebraucht, bis mir klar wurde, dass ich nicht für alles verantwortlich sein muss. Wenn es heute Probleme oder Entscheidungsnotwendigkeiten gibt, dann teile ich diese immer in meinem Team. Und dann schauen wir, wie wir damit umgehen. Ich bin im Grunde ein Moderator, der sich aktiv einbringt. Klar, manchmal wenn die Zeit drängt, entscheide ich selbst, aber das ist eher die Ausnahme und meine Leute wissen das“.

Diese Antwort hat eher partnerschaftlichen Charakter.

Nun wage ich eine Hypothese: Führungskräfte, die eindeutig und klar „bossy“ oder partnerschaftlich antworten, sind tendenziell wirksamer und erfolgreicher als jene Führungskräfte, die „irgendwie“ antworten. Erfolgreiche und wirksame Führung setzt ein klares Führungsverständnis voraus, eine Idee davon, was die eigene Führungsrolle im Kern ausmacht, eine Art „Default Setting“. Ob nun die letzten beiden Antworten richtige oder geeignete Führungsverständnisse widerspiegeln, kann man pauschal sicher nicht sagen. Dies hängt wiederum von den dauerhaften Rahmenbedingungen, der so genannten Führungsumwelt ab.

Als Führungskräfte sollten wir nie aufhören, mit uns und unserer Rolle zu hadern. Die Dinge sind zu komplex und voller Dilemmata, als dass wir uns jemals wirklich sicher sein können. Wie ist meine Führungsumwelt beschaffen? Welche Führungsrollen sollte ich primär und sekundär einnehmen? Was passt zu meiner Persönlichkeit? Was sind die Erwartungen meiner Geführten? Wie gehe ich konkret mit bestimmten Führungssituationen um? Die Antworten sind nie einfach. Aber es ist sicherlich besser, sich diesen Fragen kontinuierlich zu stellen, als sich intuitiv treiben zu lassen.

Falls Sie auch Führungskraft sind: Wie führen Sie? Teilen Sie die Ansicht, dass es grundsätzlich besser ist, ein klares Führungsverständnis zu haben anstatt irgendwie zu führen?

  • Mein Ansatz im Überblick

    Hier finden Sie einen Überblick über meinen Ansatz. Er ist erprobt und funktioniert. Führungskräfte schätzen ihn.

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  • Vier Führungsrollen

    Führungskräfte können vier distinkte Rollen einnehmen: Boss, Coach, Partner und, oder Befähiger.

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  • Mein Buch zum Ansatz

    In diesem Buch beschreibe ich meinen Ansatz wirksamer Führung. Das Buch liefert keine Antwort auf die Frage, was das „richtige Führungsverständnis“ ist. Es zeigt aber einen Weg wie man es entwickelt, vermittelt und danach handelt.

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BLOG Die Führungskraft als Coach

Die Führungskraft als Coach

Nicht erst seit gestern diskutieren wir die Frage, was es bedeutet, wenn eine Führungskraft in der Rolle des Coaches agiert. Viel ist dazu gesagt worden, nicht nur zur Frage, wie sich eine Führungskraft in dieser Rolle verhält, sondern auch wo die Chance und Grenzen dieses Rollenverständnisses zu sehen sind. Auf die Vielschichtigkeit dieser interessanten Fragestellungen will ich an dieser Stelle nicht eingehen, sondern möchte mich vielmehr auf die Rolle an sich konzentrieren.

Beginnen wir daher mit einem einfachen Quiz. Im Folgenden sind ausgewählte Verhaltensweisen aufgelistet. Welche Verhaltensweisen gehören zu dieser Rolle und welche nicht?

  1. Vermittelt als Lehrer Kompetenzen
  2. Stärkt den Rücken und motiviert
  3. Fordert zum eigenständigen Reflektieren auf
  4. Führt durch herausfordernde Fragen
  5. Gibt strukturiertes Feedback
  6. Gibt als Mentor Rat und Hilfestellungen
  7. Überlässt oder überträgt Verantwortung
  8. Stärkt die Selbstreflexion
  9. Unterstützt bei der Entwicklung von Lösungen
  10. Stärkt den Gruppenzusammenhalt

Gefühlt klingt irgendwie alles gut. Wenn wir aber von der Führungskraft als Coach reden, sollten wir eine Sprachverwirrung oder das hemmungslose Überladen einer Rolle besser vermeiden. Ich denke, wir täten gut daran, unterschiedliche Rollen auseinanderhalten, auch weil sie mit unterschiedlichen und zum Teil inkompatiblen Verhaltensweisen einhergehen.

Hier hilft ein Blick in die wissenschaftliche Literatur.

Die wissenschaftliche Literatur ist in der Verwendung des Begriffs „Coach“ nicht eindeutig. Wir haben das kürzlich analysiert (1). Aus mehreren 1000 Quellen haben wir schrittweise Artikel ausgewählt und landeten schließlich bei 37 Peer-Review-Artikel, die auf elaborierte Weise, klare und begründete Definitionen lieferten. Anschließend haben wir diese Definitionen inhaltlich analysiert und entsprechende Cluster gebildet. Das Ergebnis ist ziemlich eindeutig: Es gibt zwei Arten der begrifflichen Abgrenzung. Zunächst will ich sie einfach nur „Coach 1“ und „Coach 2“ nennen.

Coach 1 vermittelt als Lehrer Kompetenzen (1), stärkt den Rücken und motiviert (2), gibt strukturiertes Feedback (5), gibt als Mentor Rat und Hilfestellungen (6), stärkt die Selbstreflexion (8), unterstützt bei der Entwicklung von Lösungen (9) und stärkt den Gruppenzusammenhalt (10). Diese Rolle der Führungskraft beschreibt den Coach als eine Art Förderer, Trainer, Mentor oder aktiver Unterstützer. Die Führungskraft übernimmt Verantwortung für die Leistungsfähigkeit der Geführten. Wenn etwa im Sport von einem „Coach“ die Rede ist, dann ist primär diese Vorstellung gemeint. Ich bezeichne diese Rolle als Befähiger. Sie unterscheidet sich fundamental von den Inhalten der zweiten Coach-Definition.

Coach 2 fordert zum eigenständigen Reflektieren auf (3), führt durch herausfordernde Fragen (4) und überlässt oder überträgt Verantwortung (7). Dieses Verständnis des Coaches beschreibt eine Führungskraft, die Verantwortung an die Geführten überträgt und zum eigenständigen Reflektieren in Bezug auf Entscheidungen, Ideen oder Problemlösungen nicht nur anregt, sondern dies aktiv einfordert. In Abgrenzung zur Rolle des Befähigers bezeichne ich diese Rolle als den eigentlichen Coach.

Die Aktivitäten von Coach oder Befähiger werden von den Betroffenen meist sehr unterschiedlich erlebt. Auch wenn es Coachees nicht laut sagen, ist es außerordentlich anstrengend, von einem Coach geführt zu werden. Man trägt echte Verantwortung, muss reflektieren, nachdenken, ist gefordert. Man geht mit großen Fragezeichen durch die Welt und spürt den Druck, eigenständig Antworten, Ideen oder Lösungen liefern zu müssen.

Von einem Befähiger geführt zu werden ist hingegen wunderbar. Geführte finden sich sozusagen in einem Kunden-Lieferanten-Verhältnis wieder. Der Mitarbeiter als eine Art Kunde seiner Führungskraft. Man wird gefördert, unterstützt, erfährt die Rahmenbedingungen, die man braucht, um eine gute Leistung zu erbringen. Von „dienender Führung“ ist in diesem Zusammenhang gerne die Rede.

Deshalb bin ich bereits vor Jahren dazu übergegangen, in meinem Führungsrollenmodell diese Rollen zu unterscheiden. Es hat sich gezeigt, dass Führungskräfte sehr gut damit zurechtkommen, diese Rollen auseinanderzuhalten. Da gibt es zum Beispiel den Meister, der durchaus die Rolle des Befähigers annimmt, aber niemals Coachen würde. Oder da gibt es den Entwicklungsleiter, der sich primär in der Rolle des Coaches sieht, aber nur marginal die Rolle des Befähigers übernimmt.

Ich weiß, das ist eine sehr kontroverse Angelegenheit. Aber darüber nicht zu sprechen und bei jeder beliebigen Definition, reflexartig zu nicken, führt uns auch nicht weiter.

(1) Diese Analyse war Teil einer Bachelorarbeit an der Hochschule Furtwangen, eingereicht im Jahr 2022 durch Marigona Nimani: Die Führungskraft in der Rolle des Coachs: Ein schematischer Ansatz zur Kategorisierung der wissenschaftlichen Definitionen.

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PSYCHOLOGISCHE SICHERHEIT

Psychologische Sicherheit – ein billiger Anspruch

Spätestens seit 2019, als Amy Edmondson und ihre Kollegen das Buch „The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth” veröffentlicht haben, ist die Idee der Psychologischen Sicherheit in aller Munde. Das Buch ist lesenswert (1). Wer es eilig hat, dem sei der knapp 4-minütige TED-Talk mit Frau Edmondson ans Herz gelegt.

Eines ist klar. Wo Aufgaben zunehmend Kreativität und Teamwork erfordern, weil sie in Bezug auf die Ergebnisse und die Wege dorthin unklar oder unsicher sind, braucht es eine Arbeitswelt, in der Menschen offen Ideen artikulieren, auf potenzielle Fehler hinweisen, sich gegenseitig herausfordern und hinterfragen. Wer will das bezweifeln?

Aber irgendetwas hat mich schon immer an der Idee der psychologischen Sicherheit zutiefst irritiert.

Edmondson geht von einer Wirklichkeit aus, in der despotische Chefs (in ihrem Buch sind das ausschließlich Männer) ihre Mitarbeiter zu gehorsamen Untertanen knechten. Ihr prototypisches Beispiel ist der tyrannische, selbstherrliche Chefarzt, der die Krankenschwester unterdrückt und ihr keinen Raum lässt, das zu tun, was doch eigentlich sinnvoll wäre. Und dann liefert sie die Lösung: psychologische Sicherheit. Vor allem die Führungskräfte sollten einen Raum bieten, in dem Mitarbeiter Fragen stellen, Ideen artikulieren oder auf Fehler hinweisen dürfen.

Aber jetzt mal ehrlich. Ist das nicht ein bisschen wenig? Was würden wir von einem Eheberater halten, der den glorreichen Vorschlag lieferte, Ehemänner sollten ihren Ehefrauen erlauben, auch mal einen eigenen Wunsch artikulieren zu dürfen, damit sie weniger Angst vor ihrem Gatten erfahren müssen? „Wow“ würde wir überrascht denken. Was ist das für ein billiger Anspruch? Von welchem Eheverständnis und von welcher Realität geht dieser Eheberater aus? In Bezug auf das Thema Führung sind wir doch hoffentlich längst weiter. Zumindest sollte unser Anspruch deutlich darüber hinaus gehen.

Wir wollen keine Mitarbeiter, die mitdenken. Wir wollen Mitarbeiter, die denken. Wir wollen Mitarbeiter keinen Raum geben, in dem sie auch mal Ideen artikulieren dürfen. Wir wollen, dass Mitarbeiter die Entwicklung, Artikulation und Umsetzung von Ideen als ihre eigentliche Aufgabe begreifen. In Führungsumwelten, die von hoher Aufgabenunsicherheit geprägt sind, wollen wir keine Führungskräfte, die ihren Geführten hie und da erlauben, auch mal kritisch nachzufragen oder fachliche Dinge kontrovers zu diskutieren. Wir wollen Führungskräfte, die genau dies aktiv einfordern. Das sind Führungskräfte, die partnerschaftlich oder in der Rolle des Coaches agieren. Wir wollen Mitarbeiter nicht mitnehmen, sondern sie als aktive, kreative Gestalter begreifen. Wir wollen in unseren Mitarbeitern keine verletzlichen, empfindlichen Wesen sehen, die in irgendeiner Weise von ihren Chefs infantilisiert und behütet werden müssen. Wir wollen mutige Mitarbeiter sehen, die sich wechselseitig vertrauen. Diejenigen, die in Unternehmen oder auch in der Gesellschaft jemals etwas bewirkt haben, waren selten jene, die nach psychologischer Sicherheit gefragt haben.

Ich weiß, diese Vorstellungen sind in weiten Teilen idealisiert. Aber gerade in Führungsumwelten, die von einer hohen Unsicherheit, Dynamik und Vernetztheit geprägt sind, in denen es auf Kreativität ankommt und die Geführten ihren Führungskräften fachlich überlegen sind, sollte dies unser Anspruch sein.

Wenn ich die öffentliche Debatte rund um das Thema psychologischer Sicherheit verfolge, bekomme ich den Eindruck, diese Idee würde als Fortschritt begriffen. Ich sehe das anders. Sollte psychologische Sicherheit der neue Standard darstellen, wäre dies aus meiner Sicht eher ein Rückschritt.

(1) Edmondson, A.C. (2019). The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth. New Jersey: John Wiley & Sons.

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    Ich unterscheide 4 Führungsrollen, die Führungskräfte als Bausteine ihres Führungsverständnisses im Sinne eines „Default Setting“ priorisieren können.

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VIER FÜHRUNGSROLLEN

Die vier Rollen der Führung im Alltag

Grundsätzlich können Führungskräfte vier distinkte Rollen einnehmen. Sie sind deshalb als distinkt zu bezeichnen, weil sie mit gänzlich unterschiedlichen Verhaltensweisen in Verbindung stehen. Dier vier Rollen sind: Boss, Coach, Partner und Befähiger.

  • In der Rolle des Bosses trägt die Führungskraft die Verantwortung für die Leistung ihres Teams. Sie hat klare Vorstellung von den Ergebnissen und den Wegen dorthin. Daher macht sie klare Ansagen und kontrolliert die Leistung ihrer Geführten. Die Rolle des Bosses entspricht sicherlich dessen, was man auf stereotype Weise mit einem „Chef“ assoziiert.
  • In der Rolle des Coaches überträgt die Führungskraft so viel Verantwortung wie möglich auf die Geführten. Auf Fragen reagiert sie mit Gegenfragen. Bei Problemen bittet sie die Geführten um Vorschläge. Die Führungskraft vertraut auf die intrinsische Motivation, Kompetenz und das Potenzial der Geführten.
  • In der Rolle des Partners teilt die Führungskraft die Verantwortung mit ihren Geführten. Sie wirkt auf gemeinsame Entscheidungen und Problemlösungen hin. Dabei agiert sie im Wesentlich moderierend und vertritt die Ergebnisse des Teams, selbst dann, wenn sie persönlich eine andere Sichtweise vertritt.
  • In der Rolle des Befähigers trägt die Führungskraft die Verantwortung für die Leistungsfähigkeit ihrer Geführten. Sie stellt die Rahmenbedingungen sicher, die auf Seiten der Geführten nötig sind, um gute Leistung zu erbringen.

Es gibt keine guten oder schlechten Rollen per se. Auch wenn die moderne Führungsliteratur proklamiert, Führungskräfte sollten eher als Coach und weniger als Boss agieren, ist diese Aussage zu undifferenziert und nicht selten falsch. Es ist schwer zu sagen, unter welchen Voraussetzungen welche Rolle als geeigneter erscheint. Es ist aber sicherlich richtig, dass bestimmte Führungsumwelten die eine oder andere Rolle mehr oder weniger nahe legen.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem fünften Kapitel „Das Führungsmodell im Überblick“ meines 2022 erschienen Buches „Das richtige Führungsverständnis“ (erschienen bei SpringerGabler).

  • Mein Buch zur Thematik

    In diesem Buch steht nicht, was das „richtige“ Führungsverständnis ist. Es wird gezeigt, wie man es entwickelt, vermittelt und danach handelt.

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  • Mein Ansatz im Überblick

    Hier finden Sie einen Überblick über meinen Ansatz. Er ist erprobt und funktioniert. Führungskräfte schätzen ihn.

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VIELFALT DER FÜHRUNG

Vielfalt der Führung

Es gibt eine Idee, die scheinbar nie ausstirbt. Die Rede ist vom „gemeinsamen Führungsverständnis“, das man entwickeln und implementieren möchte. Die Situationen wiederholen sich. In Anbetracht notwendiger Transformationen erkennt man zurecht, dass sich Führung im Unternehmen irgendwie ändern muss. Mehr Vertrauen, Vernetzung, Eigenverantwortung, Kundenzentriertheit etc. Also macht man sich auf den Weg und definiert, wie Führung im 21sten Jahrhundert, in Zeiten zunehmender Dynamik und Geschwindigkeit auszusehen hat. Und sobald man dieses Führungsverständnis, meist in Form eine Führungsleitbildes ausformuliert hat, werden alle Führungskräfte von oben nach unten und von links nach rechts im Sinne dieses Führungsideals indoktriniert.

Das klingt zwar gut und irgendwie richtig. Aber, es funktioniert nicht und die Gründe hierfür liegen eigentlich auf der Hand.

In einem und demselben Unternehmen sind Führungskräfte mit meist sehr heterogenen Führungsumwelten konfrontiert. Es macht eben einen Unterschied, ob man ein Team führt, bei dem die Abläufe klar definiert sind, die Führungskraft fachlich überlegen ist und man eher arbeitsteilig unterwegs ist. Oder ob man ein Team führt, bei deren Arbeit weder die Ergebnisse noch die Wege dorthin klar sind, die Mitarbeiter vernetzt und in Teams kooperieren und die Geführten der Führungskraft fachlich überlegen sind. Kann man ein Team von LKW-Fahrer nach demselben Führungsverständnis führen, wie ein Team von Wissenschaftlern? Sicher nicht!

Führungskräfte sind Menschen und Menschen unterscheiden sich. Diese Feststellung sollte nun auch nicht überraschen. Sie unterscheiden sich in ihren fachlichen Hintergründen, in ihren Präferenzen und Neigungen, in ihren Kompetenzen und vor allem in ihrer Persönlichkeit. Die beiden Führungskräfte Jürgen und Martina werden schon allein deswegen unterschiedlich führen müssen, weil Jürgen und Martina zwei unterschiedliche Individuen sind. Wir wollen doch alle Diversity und Inklusion. Sollten wir dann Individualität nicht besonders wertschätzen, sie respektieren und die Potenziale dieser Vielfalt erkennen? Ich denke schon.

Ich habe in meiner Karriere schon sehr viele Führungsleitbilder gesehen und musste immer wieder feststellen, wie sehr sie sich inhaltlich gleichen. Das überrascht auch nicht. Versucht man wirklich, einen gemeinsamen Nenner zu finden, dann landet man unweigerlich bei moralischen Grundsätzen und einem Spiegelbild des Zeitgeistes, weil nur diese wirklich als konsensfähig erscheinen. Und dann fragt man sich, was Respekt, Vertrauen, Flexibilität, Teamgeist im turbulenten Alltag konkret bedeuten. So wichtig und aktuell diese moralischen und gesellschaftlichen Werte auch sein mögen, sie taugen nicht, um Führungskräften im Kontext ihrer besonderen Rahmenbedingungen eine handlungsrelevante, alltagstaugliche Orientierung zu geben. Sie sind schlichtweg zu abstrakt.

Führungskräfte sind erwachsene Menschen, denen wir die Fähigkeit zur eigenen Reflexion zutrauen sollten. Sie sind in der Lage, ihre Führungsumwelt, ihre Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie wirken, einschätzen zu können. Sie sind grundsätzlich in der Lage, ihre individuellen Besonderheiten zu erkennen. Sie sind in der Lage, zu reflektieren, was all dies für ihr persönliches Führungsverständnis bedeutet. Könnten sie all dies nicht, sollten sie auch nicht führen. Brauchen sie dafür gegebenenfalls eine strukturierte Unterstützung und Begleitung? Davon ist auszugehen.

Ich plädiere für eine Vielfalt der Führung. Vielfalt der Führung heißt nicht, männliche Führungskräfte durch weibliche Führungskräfte auszutauschen. Vielfalt der Führung bedeutet, individuelle Führungsverständnisse nicht nur zuzulassen, sondern dies auch zu fördern. Wenn fünf Führungskräfte in einem Raum sitzen und man ihnen die Frage stellte, wie sie führen, dann bedeutete Vielfalt der Führung, dass man fünf unterschiedliche Antworten erhielte. Wenn ein Führungsverständnis „gemeinsam“ sein sollte, dann weniger zwischen unterschiedlichen Führungskräften, sondern vielmehr zwischen der Führungskraft und ihren Geführten.

  • Mein Buch zur Thematik

    In diesem Buch steht nicht, was das „richtige“ Führungsverständnis ist. Es wird gezeigt, wie man es entwickelt, vermittelt und danach handelt.

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  • Mein Ansatz im Überblick

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