Autor: Armin Trost

NARZISSTISCHE FÜHRUNGSKRAFT

Die narzisstische Führungskraft

Selbstreflektion ist eine wesentliche Voraussetzung, um als Führungskraft wirksam und erfolgreich sein zu können. Sie umfasst die Entwicklung eines klares Rollenverständnisses innerhalb eines Führungskontexts und davon ausgehend die Entwicklung einer funktionierenden Führungskraft-Geführten-Beziehung, in der die eigene Rollendefinition und die Rollenzuschreibung der Geführten in Einklang stehen.

Es gibt aber eine bestimmte Gruppe von Führungskräften, bei der diese Form der gesunden Selbstreflektion an harte Grenzen stößt. Die Rede ist von narzisstischen Führungskräften.

Man geht, davon aus, dass circa 1 Prozent der Bevölkerung diese Persönlichkeitsstörung aufweist. Dabei leben Männer ihren Narzissmus tendenziell offener aus, als es Frauen tun, was es allerdings nicht besser macht. Ein Narzisst kann das Leben zahlreicher Mitarbeiter und Kollegen zur Hölle machen, weswegen man von einem deutlich größeren Kreis Betroffener ausgehen muss. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass Narzissten aufgrund ihrer ausgeprägten Ambition, ihrer Energie, ihrer unbedingten Leistungsbereitschaft und ihrer Strahlkraft nicht selten höhere Chancen auf eine Beförderung haben.

Woran erkennt man einen narzisstischen Chef? Zunächst gar nicht! Eine Beziehung zu einem Narzissten ist auch im Kontext einer Führungskraft-Geführten-Beziehung zunächst wunderbar. Der Himmel auf Erden, totale Wertschätzung, innige Verschmelzung, Dream-Team. Erst nach einer gewissen Zeit kommt die ganze Härte der Persönlichkeitsstörung zum Vorschein.

Nun kann man sich an einer Heuristik orientieren, der 4-E-Regel. Narzissten sind egozentrisch, handeln entwertend, sind überaus empfindlich und weisen eine Empathie ohne Mitgefühl auf.

Das schauen wir uns nun genauer an.

Egozentrismus. Ein narzisstischer Chef muss im Mittelpunkt stehen und will chronisch bewundert werden. Alles, was getan wird, muss auf ihn strahlen. Man arbeitet „für“ ihn, nicht mit ihm. Er sieht sich als das Zentrum des Universums. Das Ich ist wegweisend. „Ich will ..“, „Ich erwarte ..“, „Ich habe aber gesagt, dass ..“. Der Narzisst pflegt Social-Media-Auftritte, in denen seine Person die meist beliebige Botschaft überstrahlt. Narzisstische Chefs überhöhen sich, können unablässig darüber referieren, wie toll sie sind, was sie alles geleistet haben, lenken jede Kommunikation auf ihre Außerordentlichkeit. Die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge verschwimmt. Andere, Kollegen, Mitarbeiter haben im Umfeld eines Narzissten keinen Raum. Deren Rolle beschränkt sich darauf, Applaus zu spenden und dem Chef zu weiterer Strahlkraft zu verhelfen.

Entwertung. Ab einer bestimmten Phase werden Kollegen und Mitarbeiter genüsslich klein gemacht, um selbst als Überlegener aus dem Rennen zu gehen. Das erfolgt subtil, mittels manipulativer Maßnahmen. Gaslighting ist so eine Taktik. Der Narzisst vermittelt dem Mitarbeiter das Gefühl, komplett neben der Spur zu sein. „Wie? Sie haben das nicht gewusst?“, „Das passiert Ihnen jetzt aber nicht zum ersten mal, oder?“. Ignorieren, an die Wand laufen lassen, Kollegen vor versammelter Mannschaft entblößen. Das Repertoire scheint endlos und überaus kreativ oder geschickt.

Empfindlichkeit. Man sollte es nie nie nie wagen, einem Narzissten zu widersprechen oder ihm irgendeinen Wunsch nicht zu erfüllen. Ansonsten gnade Dir Gott! Ein Narzisst erwartet ausschließlich Anerkennung, Wertschätzung und bedingungslose Liebe, von der er als Kind meist vergebens geträumt hat. Alles, was nicht in diese Kategorien passt, überfordert den Narzissten hoffnungslos. Sie leiden dann wirklich. Es ist nicht möglich, einem Narzissten konstruktives Feedback zu geben. Gerade in diesem Aspekt zeigt sich die eigentliche, infantile Schwäche des Narzissten.

Empathielosigkeit. Es wird oft gesagt, Narzissten seien empathielos. Das sind sie aber nur auf eine bestimmte Weise. Tatsächlich verstehen sie ihr Gegenüber extrem gut. Sie kennen die Softspots und wissen, wie sie Andere manipulieren und dadurch zur Verzweiflung bringen können. Ihre tiefe Einsicht in die Psyche Anderer löst aber keinerlei Mitgefühl als. Im Gegenteil. Sie schützen sich vor den Gefühlen Anderer, was sie beispielsweise zur geschickten Anwendung des so genannten Heiße-Kartoffel-Prinzips befähigt. Anstatt eigene Schmerzen, Verletzungen oder narzisstische Kränkungen zu bewältigen, lassen sie Andere diese austragen. Während der Chef bereits ambitioniert auf dem Golfplatz steht, zermürbt sich der Mitarbeiter in heftigstem Selbstzweifel. Letzteres merkt der Narzisst nicht, oder es ist ihm schlichtweg egal.

Wie gesagt, diese Heuristiken sind nur Daumenregeln. Wir sind heute schnell dabei, Chefs als Narzissten zu bezeichnen, vielleicht auch, um die eigene Gekränktheit und Verletzlichkeit von uns zu weißen. Eine echte Diagnose kann nur ein Profi ausstellen. Schade nur, dass Narzissten eher selten nach psychologischer Beratung fragen. Gut für den Psychologen, könnte man meinen. Am Ende würde vermutlich der Therapeut selbst an sich zweifeln.

Was tun, wenn man einen narzisstischen Chef hat? Die Antwort ist ziemlich klar. Renne, so schnell Du kannst und breche alle Brücken ab. Alle! Verzichte auf eine Erklärung. Tu’s einfach. Ist das immer so einfach möglich? Nein, natürlich nicht. Für Viele beginnt die eigentliche Hölle erst nach dem Abschied oder nach der freiwilligen Kündigung.

Die funktionierende Führungskraft-Geführten-Beziehung

Die Reflexion des eigenen Führungsverständnisses und der jeweiligen Führungsumwelt ist für eine funktionierende, vertrauensvolle Beziehung zu den Geführten unerlässlich

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KÜNDIGUNGSSTRATEGIEN

Warum und wie Mitarbeiter kündigen

Ich bin sie leid, all diese Studien, die erklären, warum Mitarbeiter freiwillig ihren aktuellen Arbeitgeber verlassen. Sie unterstellen, Mitarbeiter seien auf der Flucht. Deshalb wird meist nach Gründen gefragt, die beim aktuellen Arbeitgeber selbst zu suchen seien: kaum Perspektiven, zu wenig Wertschätzung, zu wenig Lohn, schlechte Führung usw. usw. Implizit gehen diese Studien davon aus, Mitarbeiter würden ihr Unternehmen verlassen. Technisch tun sie das auch. Aber vielleicht gehen die Mitarbeiter nicht weg, sondern irgendwo hin. Warum? Nicht selten deshalb, weil sie Verantwortung für ihr Leben und ihre Karriere übernehmen.

Nehmen wir mein eigenes Beispiel. 2005 wurde ich oft gefragt, warum ich SAP verlassen hätte. Meine Antwort: „Ich habe SAP nicht verlassen. Ich wollte Professor werden und beides gleichzeitig geht leider nicht. Ich bin nicht von SAP weg, sondern zur Hochschule hin. SAP an sich ist ein super Arbeitgeber und meinen Job habe ich geliebt“.

Natürlich gibt es sie auch, jene Mitarbeiter, die vor allem eines wollen: weg. Grundsätzlich sollten wir aber unterscheiden, ob der aktuelle Job oder die Alternative der Antrieb der Kündigung ist.

Unabhängig davon gibt es Menschen, die bei Ihrer Kündigung intuitiv bzw. emotional entscheiden. Sie handeln aus einem Gefühl heraus und machen sich möglicherweise wenig oder zu wenig Gedanken über ihren Karriereschritt. Aber ist gibt auch jene, die rational entscheiden. Sie machen es sich nicht leicht, hadern mit ihrer Entscheidung, denken nach, wägen ab. Aber am Ende treffen sie ihre Entscheidung bewusst.

Kombiniert man nun diese beiden Dimensionen, dann ergeben sich daraus vier Strategien der Kündigungsentscheidung. Es ist wichtig, diese zu differenzieren, weil sich daraus sehr unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten für Arbeitgeber ergeben.

Flucht. Ein Mitarbeiter entscheidet intuitiv, emotional, dass er oder sie wegwill. Alles andere ist besser als ein weiterer Tag im aktuellen Job. Hier treiben die Verzweiflung und der Frust. Die Lösung? Rechtzeitig Verständnis zeigen und überlegen, was man an den Arbeitsbedingungen verbessern kann.

Strategie. Ein Mitarbeiter macht sich tiefgreifende Gedanken über seine Zukunft und entscheidet sich bewusst dafür, dass ein Wechsel in einen anderen Job, in einem anderen Land, in einer anderen Branche wertvoll für seinen Karriereweg sei. Die entsprechende Alternative erscheint dafür als das sinnvollste, was dieser Mitarbeiter tun kann und soll. Eine mögliche Lösung? Diesen Mitarbeiter zu seiner wohlüberlegten Entscheidung beglückwünschen, alles Gute mit auf den Weg geben und auf jeden Fall in Kontakt bleiben.

Lösung. Manchmal können Mitarbeiter (vielleicht aus privaten Gründen) einen Job nicht mehr ausüben. Die Rahmenbedingungen passen nicht oder nicht mehr. Zu wenig Flexibilität, zu lange Anfahrtszeiten, das Geld reicht nicht. Der Mitarbeiter ringt um eine Lösung und sieht den einzigen Weg darin, den Job zu verlassen. Das Ganze ist gut überlegt. Eine mögliche Lösung? Intern eine machbare Lösung für den Mitarbeiter finden.

Exploration. Ein Mitarbeiter fühlt sich von einem alternativen Job-Angebot irgendwie angezogen. Es fühlt sich gut an. Er oder sie hat Angst, eine super Möglichkeit zu verpassen und ist getrieben von der Alternative. Eine starke Arbeitgebermarke, die Leute dort waren total nett, man fühlt sich geschmeichelt usw. Gefühle dominieren über das rationale Denken. Eine mögliche Lösung? Einen gewinnenden, charmanten Gegenvorschlag anbieten.

Das Thema Mitarbeiterbindung ist derzeit zurecht in aller Munde. Nicht zuletzt deshalb lohnt es sich, weniger nur an sich als Arbeitgeber zu denken und sich aus egozentrischem Selbstmitleid heraus zu fragen: „Was haben wir nur falsch gemacht?“. Vielleicht sollten wir besser die Mitarbeiter erstnehmen und ihre wahren Gründe und Entscheidungswege begreifen.

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    In diesem Buch widme ich ein ganzes Kapitel der Frage, wie man mit dem Thema Mitarbeiterbindung strategisch umgehen kann

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  • Mitarbeiterbindung auf die Ohren

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    Eine wesentlicher Faktor für Mitarbeiterbindung ist eine funktionierende Führungskraft-Geführten-Beziehung

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BLOG Wie führen Sie?

Wie führen Sie?

Würde man einen Piloten fragen, wie er oder sie sein Flugzeug von A nach B fliegt, dann würden wir eine klare Antwort erwarten. Würden wir einen Koch fragen, wie er oder sie den Hirschrücken zubereitet, könnte er oder sie es erläutern. Fragt man, einen erfahrenen Krankenpfleger, wie er oder sie Blut abnimmt, bekäme man sicherlich eine eindeutige Antwort.

Wir erwarten von Profis, dass sie mehr oder weniger sagen können, wie sie ihre Rolle ausüben. Sicherlich sind zahlreiche Handlungen so sehr internalisiert, dass man sich zuweilen schwertäte, die genauen Handlungsschritte in Worte zu fassen. Aber auch einer internalisierten, automatisierten Tätigkeit ging irgendwann eine bewusste Ausübung der Tätigkeit voraus. Fragen Sie mich also bitte nicht, wie ich „Stairways to Heaven“ auf der Gitarre spiele.

Wenn ich nun mit Führungskräften arbeite, stelle ich gerne dieselbe Frage: „Wie führen Sie?“. Gerne mache ich das konkret, im Rahmen einer kleinen Übung. Das klingt dann so:

Also, meine Damen, meine Herren. Sie sind ja Führungskräfte. Jetzt nehmen Sie bitte diesen leeren Zettel und formulieren Sie, wie Sie Ihre Mitarbeiter führen. Sie haben 10 Minuten Zeit. Los geht‘s“.

Natürlich ist mir in diesem Moment bewusst, dass diese Aufgabenstellung keine einfache ist. Ist sie aber unfair oder unangemessen? Ich denke nicht. Gerne lade ich alle Führungskräfte, die diesen Beitrag lesen, dazu ein, kurz innezuhalten und zu reflektieren, wie sie selbst diese Frage beantworten würden.

Erfahrungsgemäß klingen sieben bis acht von zehn Antworten am Ende so:

Ja, gute Frage (Ähem). Das ist schwer zu sagen, kann man so pauschal nicht beantworten. Führung ist doch immer auch situativ, hängt von vielen Dingen ab. Und dann ist das mal so oder auch mal so. Als Führungskraft handelt man doch auch intuitiv, oder?“.

Ist das nun eine gute Antwort? Sie klingt nach „irgendwie“.

Interessant ist aber, dass es üblicherweise zwei bis drei Führungskräfte gibt, die um eine klare Antwort nicht verlegen sind. Das kann dann auch mal so klingen:

Gute Frage, Danke! Darüber denke ich nach, seitdem ich Führungskraft bin. Aktuell würde ich die Frage so beantworten: Bei Problemen oder Entscheidungen denke ich nach, was zu tun ist, mache eine klare Ansage an meine Leute. Meist halte ich dann nach und schaue, was passiert und wie erfolgreich wir sind.“

Diese Antwort klingt „bossy“.

Es gibt aber auch solche Antworten:

Ich habe eine Weile gebraucht, bis mir klar wurde, dass ich nicht für alles verantwortlich sein muss. Wenn es heute Probleme oder Entscheidungsnotwendigkeiten gibt, dann teile ich diese immer in meinem Team. Und dann schauen wir, wie wir damit umgehen. Ich bin im Grunde ein Moderator, der sich aktiv einbringt. Klar, manchmal wenn die Zeit drängt, entscheide ich selbst, aber das ist eher die Ausnahme und meine Leute wissen das“.

Diese Antwort hat eher partnerschaftlichen Charakter.

Nun wage ich eine Hypothese: Führungskräfte, die eindeutig und klar „bossy“ oder partnerschaftlich antworten, sind tendenziell wirksamer und erfolgreicher als jene Führungskräfte, die „irgendwie“ antworten. Erfolgreiche und wirksame Führung setzt ein klares Führungsverständnis voraus, eine Idee davon, was die eigene Führungsrolle im Kern ausmacht, eine Art „Default Setting“. Ob nun die letzten beiden Antworten richtige oder geeignete Führungsverständnisse widerspiegeln, kann man pauschal sicher nicht sagen. Dies hängt wiederum von den dauerhaften Rahmenbedingungen, der so genannten Führungsumwelt ab.

Als Führungskräfte sollten wir nie aufhören, mit uns und unserer Rolle zu hadern. Die Dinge sind zu komplex und voller Dilemmata, als dass wir uns jemals wirklich sicher sein können. Wie ist meine Führungsumwelt beschaffen? Welche Führungsrollen sollte ich primär und sekundär einnehmen? Was passt zu meiner Persönlichkeit? Was sind die Erwartungen meiner Geführten? Wie gehe ich konkret mit bestimmten Führungssituationen um? Die Antworten sind nie einfach. Aber es ist sicherlich besser, sich diesen Fragen kontinuierlich zu stellen, als sich intuitiv treiben zu lassen.

Falls Sie auch Führungskraft sind: Wie führen Sie? Teilen Sie die Ansicht, dass es grundsätzlich besser ist, ein klares Führungsverständnis zu haben anstatt irgendwie zu führen?

  • Mein Ansatz im Überblick

    Hier finden Sie einen Überblick über meinen Ansatz. Er ist erprobt und funktioniert. Führungskräfte schätzen ihn.

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  • Vier Führungsrollen

    Führungskräfte können vier distinkte Rollen einnehmen: Boss, Coach, Partner und, oder Befähiger.

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  • Mein Buch zum Ansatz

    In diesem Buch beschreibe ich meinen Ansatz wirksamer Führung. Das Buch liefert keine Antwort auf die Frage, was das „richtige Führungsverständnis“ ist. Es zeigt aber einen Weg wie man es entwickelt, vermittelt und danach handelt.

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BLOG Die Führungskraft als Coach

Die Führungskraft als Coach

Nicht erst seit gestern diskutieren wir die Frage, was es bedeutet, wenn eine Führungskraft in der Rolle des Coaches agiert. Viel ist dazu gesagt worden, nicht nur zur Frage, wie sich eine Führungskraft in dieser Rolle verhält, sondern auch wo die Chance und Grenzen dieses Rollenverständnisses zu sehen sind. Auf die Vielschichtigkeit dieser interessanten Fragestellungen will ich an dieser Stelle nicht eingehen, sondern möchte mich vielmehr auf die Rolle an sich konzentrieren.

Beginnen wir daher mit einem einfachen Quiz. Im Folgenden sind ausgewählte Verhaltensweisen aufgelistet. Welche Verhaltensweisen gehören zu dieser Rolle und welche nicht?

  1. Vermittelt als Lehrer Kompetenzen
  2. Stärkt den Rücken und motiviert
  3. Fordert zum eigenständigen Reflektieren auf
  4. Führt durch herausfordernde Fragen
  5. Gibt strukturiertes Feedback
  6. Gibt als Mentor Rat und Hilfestellungen
  7. Überlässt oder überträgt Verantwortung
  8. Stärkt die Selbstreflexion
  9. Unterstützt bei der Entwicklung von Lösungen
  10. Stärkt den Gruppenzusammenhalt

Gefühlt klingt irgendwie alles gut. Wenn wir aber von der Führungskraft als Coach reden, sollten wir eine Sprachverwirrung oder das hemmungslose Überladen einer Rolle besser vermeiden. Ich denke, wir täten gut daran, unterschiedliche Rollen auseinanderhalten, auch weil sie mit unterschiedlichen und zum Teil inkompatiblen Verhaltensweisen einhergehen.

Hier hilft ein Blick in die wissenschaftliche Literatur.

Die wissenschaftliche Literatur ist in der Verwendung des Begriffs „Coach“ nicht eindeutig. Wir haben das kürzlich analysiert (1). Aus mehreren 1000 Quellen haben wir schrittweise Artikel ausgewählt und landeten schließlich bei 37 Peer-Review-Artikel, die auf elaborierte Weise, klare und begründete Definitionen lieferten. Anschließend haben wir diese Definitionen inhaltlich analysiert und entsprechende Cluster gebildet. Das Ergebnis ist ziemlich eindeutig: Es gibt zwei Arten der begrifflichen Abgrenzung. Zunächst will ich sie einfach nur „Coach 1“ und „Coach 2“ nennen.

Coach 1 vermittelt als Lehrer Kompetenzen (1), stärkt den Rücken und motiviert (2), gibt strukturiertes Feedback (5), gibt als Mentor Rat und Hilfestellungen (6), stärkt die Selbstreflexion (8), unterstützt bei der Entwicklung von Lösungen (9) und stärkt den Gruppenzusammenhalt (10). Diese Rolle der Führungskraft beschreibt den Coach als eine Art Förderer, Trainer, Mentor oder aktiver Unterstützer. Die Führungskraft übernimmt Verantwortung für die Leistungsfähigkeit der Geführten. Wenn etwa im Sport von einem „Coach“ die Rede ist, dann ist primär diese Vorstellung gemeint. Ich bezeichne diese Rolle als Befähiger. Sie unterscheidet sich fundamental von den Inhalten der zweiten Coach-Definition.

Coach 2 fordert zum eigenständigen Reflektieren auf (3), führt durch herausfordernde Fragen (4) und überlässt oder überträgt Verantwortung (7). Dieses Verständnis des Coaches beschreibt eine Führungskraft, die Verantwortung an die Geführten überträgt und zum eigenständigen Reflektieren in Bezug auf Entscheidungen, Ideen oder Problemlösungen nicht nur anregt, sondern dies aktiv einfordert. In Abgrenzung zur Rolle des Befähigers bezeichne ich diese Rolle als den eigentlichen Coach.

Die Aktivitäten von Coach oder Befähiger werden von den Betroffenen meist sehr unterschiedlich erlebt. Auch wenn es Coachees nicht laut sagen, ist es außerordentlich anstrengend, von einem Coach geführt zu werden. Man trägt echte Verantwortung, muss reflektieren, nachdenken, ist gefordert. Man geht mit großen Fragezeichen durch die Welt und spürt den Druck, eigenständig Antworten, Ideen oder Lösungen liefern zu müssen.

Von einem Befähiger geführt zu werden ist hingegen wunderbar. Geführte finden sich sozusagen in einem Kunden-Lieferanten-Verhältnis wieder. Der Mitarbeiter als eine Art Kunde seiner Führungskraft. Man wird gefördert, unterstützt, erfährt die Rahmenbedingungen, die man braucht, um eine gute Leistung zu erbringen. Von „dienender Führung“ ist in diesem Zusammenhang gerne die Rede.

Deshalb bin ich bereits vor Jahren dazu übergegangen, in meinem Führungsrollenmodell diese Rollen zu unterscheiden. Es hat sich gezeigt, dass Führungskräfte sehr gut damit zurechtkommen, diese Rollen auseinanderzuhalten. Da gibt es zum Beispiel den Meister, der durchaus die Rolle des Befähigers annimmt, aber niemals Coachen würde. Oder da gibt es den Entwicklungsleiter, der sich primär in der Rolle des Coaches sieht, aber nur marginal die Rolle des Befähigers übernimmt.

Ich weiß, das ist eine sehr kontroverse Angelegenheit. Aber darüber nicht zu sprechen und bei jeder beliebigen Definition, reflexartig zu nicken, führt uns auch nicht weiter.

(1) Diese Analyse war Teil einer Bachelorarbeit an der Hochschule Furtwangen, eingereicht im Jahr 2022 durch Marigona Nimani: Die Führungskraft in der Rolle des Coachs: Ein schematischer Ansatz zur Kategorisierung der wissenschaftlichen Definitionen.

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PSYCHOLOGISCHE SICHERHEIT

Psychologische Sicherheit – ein billiger Anspruch

Spätestens seit 2019, als Amy Edmondson und ihre Kollegen das Buch „The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth” veröffentlicht haben, ist die Idee der Psychologischen Sicherheit in aller Munde. Das Buch ist lesenswert (1). Wer es eilig hat, dem sei der knapp 4-minütige TED-Talk mit Frau Edmondson ans Herz gelegt.

Eines ist klar. Wo Aufgaben zunehmend Kreativität und Teamwork erfordern, weil sie in Bezug auf die Ergebnisse und die Wege dorthin unklar oder unsicher sind, braucht es eine Arbeitswelt, in der Menschen offen Ideen artikulieren, auf potenzielle Fehler hinweisen, sich gegenseitig herausfordern und hinterfragen. Wer will das bezweifeln?

Aber irgendetwas hat mich schon immer an der Idee der psychologischen Sicherheit zutiefst irritiert.

Edmondson geht von einer Wirklichkeit aus, in der despotische Chefs (in ihrem Buch sind das ausschließlich Männer) ihre Mitarbeiter zu gehorsamen Untertanen knechten. Ihr prototypisches Beispiel ist der tyrannische, selbstherrliche Chefarzt, der die Krankenschwester unterdrückt und ihr keinen Raum lässt, das zu tun, was doch eigentlich sinnvoll wäre. Und dann liefert sie die Lösung: psychologische Sicherheit. Vor allem die Führungskräfte sollten einen Raum bieten, in dem Mitarbeiter Fragen stellen, Ideen artikulieren oder auf Fehler hinweisen dürfen.

Aber jetzt mal ehrlich. Ist das nicht ein bisschen wenig? Was würden wir von einem Eheberater halten, der den glorreichen Vorschlag lieferte, Ehemänner sollten ihren Ehefrauen erlauben, auch mal einen eigenen Wunsch artikulieren zu dürfen, damit sie weniger Angst vor ihrem Gatten erfahren müssen? „Wow“ würde wir überrascht denken. Was ist das für ein billiger Anspruch? Von welchem Eheverständnis und von welcher Realität geht dieser Eheberater aus? In Bezug auf das Thema Führung sind wir doch hoffentlich längst weiter. Zumindest sollte unser Anspruch deutlich darüber hinaus gehen.

Wir wollen keine Mitarbeiter, die mitdenken. Wir wollen Mitarbeiter, die denken. Wir wollen Mitarbeiter keinen Raum geben, in dem sie auch mal Ideen artikulieren dürfen. Wir wollen, dass Mitarbeiter die Entwicklung, Artikulation und Umsetzung von Ideen als ihre eigentliche Aufgabe begreifen. In Führungsumwelten, die von hoher Aufgabenunsicherheit geprägt sind, wollen wir keine Führungskräfte, die ihren Geführten hie und da erlauben, auch mal kritisch nachzufragen oder fachliche Dinge kontrovers zu diskutieren. Wir wollen Führungskräfte, die genau dies aktiv einfordern. Das sind Führungskräfte, die partnerschaftlich oder in der Rolle des Coaches agieren. Wir wollen Mitarbeiter nicht mitnehmen, sondern sie als aktive, kreative Gestalter begreifen. Wir wollen in unseren Mitarbeitern keine verletzlichen, empfindlichen Wesen sehen, die in irgendeiner Weise von ihren Chefs infantilisiert und behütet werden müssen. Wir wollen mutige Mitarbeiter sehen, die sich wechselseitig vertrauen. Diejenigen, die in Unternehmen oder auch in der Gesellschaft jemals etwas bewirkt haben, waren selten jene, die nach psychologischer Sicherheit gefragt haben.

Ich weiß, diese Vorstellungen sind in weiten Teilen idealisiert. Aber gerade in Führungsumwelten, die von einer hohen Unsicherheit, Dynamik und Vernetztheit geprägt sind, in denen es auf Kreativität ankommt und die Geführten ihren Führungskräften fachlich überlegen sind, sollte dies unser Anspruch sein.

Wenn ich die öffentliche Debatte rund um das Thema psychologischer Sicherheit verfolge, bekomme ich den Eindruck, diese Idee würde als Fortschritt begriffen. Ich sehe das anders. Sollte psychologische Sicherheit der neue Standard darstellen, wäre dies aus meiner Sicht eher ein Rückschritt.

(1) Edmondson, A.C. (2019). The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth. New Jersey: John Wiley & Sons.

  • Mein Buch zur Thematik

    In diesem Buch steht nicht, was das „richtige“ Führungsverständnis ist. Es wird gezeigt, wie man es entwickelt, vermittelt und danach handelt.

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  • Mein Ansatz im Überblick

    Hier finden Sie einen Überblick über meinen Ansatz. Er ist erprobt und funktioniert. Führungskräfte schätzen ihn.

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  • Vier Führungsrollen

    Ich unterscheide 4 Führungsrollen, die Führungskräfte als Bausteine ihres Führungsverständnisses im Sinne eines „Default Setting“ priorisieren können.

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VIER FÜHRUNGSROLLEN

Die vier Rollen der Führung im Alltag

Grundsätzlich können Führungskräfte vier distinkte Rollen einnehmen. Sie sind deshalb als distinkt zu bezeichnen, weil sie mit gänzlich unterschiedlichen Verhaltensweisen in Verbindung stehen. Dier vier Rollen sind: Boss, Coach, Partner und Befähiger.

  • In der Rolle des Bosses trägt die Führungskraft die Verantwortung für die Leistung ihres Teams. Sie hat klare Vorstellung von den Ergebnissen und den Wegen dorthin. Daher macht sie klare Ansagen und kontrolliert die Leistung ihrer Geführten. Die Rolle des Bosses entspricht sicherlich dessen, was man auf stereotype Weise mit einem „Chef“ assoziiert.
  • In der Rolle des Coaches überträgt die Führungskraft so viel Verantwortung wie möglich auf die Geführten. Auf Fragen reagiert sie mit Gegenfragen. Bei Problemen bittet sie die Geführten um Vorschläge. Die Führungskraft vertraut auf die intrinsische Motivation, Kompetenz und das Potenzial der Geführten.
  • In der Rolle des Partners teilt die Führungskraft die Verantwortung mit ihren Geführten. Sie wirkt auf gemeinsame Entscheidungen und Problemlösungen hin. Dabei agiert sie im Wesentlich moderierend und vertritt die Ergebnisse des Teams, selbst dann, wenn sie persönlich eine andere Sichtweise vertritt.
  • In der Rolle des Befähigers trägt die Führungskraft die Verantwortung für die Leistungsfähigkeit ihrer Geführten. Sie stellt die Rahmenbedingungen sicher, die auf Seiten der Geführten nötig sind, um gute Leistung zu erbringen.

Es gibt keine guten oder schlechten Rollen per se. Auch wenn die moderne Führungsliteratur proklamiert, Führungskräfte sollten eher als Coach und weniger als Boss agieren, ist diese Aussage zu undifferenziert und nicht selten falsch. Es ist schwer zu sagen, unter welchen Voraussetzungen welche Rolle als geeigneter erscheint. Es ist aber sicherlich richtig, dass bestimmte Führungsumwelten die eine oder andere Rolle mehr oder weniger nahe legen.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem fünften Kapitel „Das Führungsmodell im Überblick“ meines 2022 erschienen Buches „Das richtige Führungsverständnis“ (erschienen bei SpringerGabler).

  • Mein Buch zur Thematik

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VIELFALT DER FÜHRUNG

Vielfalt der Führung

Es gibt eine Idee, die scheinbar nie ausstirbt. Die Rede ist vom „gemeinsamen Führungsverständnis“, das man entwickeln und implementieren möchte. Die Situationen wiederholen sich. In Anbetracht notwendiger Transformationen erkennt man zurecht, dass sich Führung im Unternehmen irgendwie ändern muss. Mehr Vertrauen, Vernetzung, Eigenverantwortung, Kundenzentriertheit etc. Also macht man sich auf den Weg und definiert, wie Führung im 21sten Jahrhundert, in Zeiten zunehmender Dynamik und Geschwindigkeit auszusehen hat. Und sobald man dieses Führungsverständnis, meist in Form eine Führungsleitbildes ausformuliert hat, werden alle Führungskräfte von oben nach unten und von links nach rechts im Sinne dieses Führungsideals indoktriniert.

Das klingt zwar gut und irgendwie richtig. Aber, es funktioniert nicht und die Gründe hierfür liegen eigentlich auf der Hand.

In einem und demselben Unternehmen sind Führungskräfte mit meist sehr heterogenen Führungsumwelten konfrontiert. Es macht eben einen Unterschied, ob man ein Team führt, bei dem die Abläufe klar definiert sind, die Führungskraft fachlich überlegen ist und man eher arbeitsteilig unterwegs ist. Oder ob man ein Team führt, bei deren Arbeit weder die Ergebnisse noch die Wege dorthin klar sind, die Mitarbeiter vernetzt und in Teams kooperieren und die Geführten der Führungskraft fachlich überlegen sind. Kann man ein Team von LKW-Fahrer nach demselben Führungsverständnis führen, wie ein Team von Wissenschaftlern? Sicher nicht!

Führungskräfte sind Menschen und Menschen unterscheiden sich. Diese Feststellung sollte nun auch nicht überraschen. Sie unterscheiden sich in ihren fachlichen Hintergründen, in ihren Präferenzen und Neigungen, in ihren Kompetenzen und vor allem in ihrer Persönlichkeit. Die beiden Führungskräfte Jürgen und Martina werden schon allein deswegen unterschiedlich führen müssen, weil Jürgen und Martina zwei unterschiedliche Individuen sind. Wir wollen doch alle Diversity und Inklusion. Sollten wir dann Individualität nicht besonders wertschätzen, sie respektieren und die Potenziale dieser Vielfalt erkennen? Ich denke schon.

Ich habe in meiner Karriere schon sehr viele Führungsleitbilder gesehen und musste immer wieder feststellen, wie sehr sie sich inhaltlich gleichen. Das überrascht auch nicht. Versucht man wirklich, einen gemeinsamen Nenner zu finden, dann landet man unweigerlich bei moralischen Grundsätzen und einem Spiegelbild des Zeitgeistes, weil nur diese wirklich als konsensfähig erscheinen. Und dann fragt man sich, was Respekt, Vertrauen, Flexibilität, Teamgeist im turbulenten Alltag konkret bedeuten. So wichtig und aktuell diese moralischen und gesellschaftlichen Werte auch sein mögen, sie taugen nicht, um Führungskräften im Kontext ihrer besonderen Rahmenbedingungen eine handlungsrelevante, alltagstaugliche Orientierung zu geben. Sie sind schlichtweg zu abstrakt.

Führungskräfte sind erwachsene Menschen, denen wir die Fähigkeit zur eigenen Reflexion zutrauen sollten. Sie sind in der Lage, ihre Führungsumwelt, ihre Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie wirken, einschätzen zu können. Sie sind grundsätzlich in der Lage, ihre individuellen Besonderheiten zu erkennen. Sie sind in der Lage, zu reflektieren, was all dies für ihr persönliches Führungsverständnis bedeutet. Könnten sie all dies nicht, sollten sie auch nicht führen. Brauchen sie dafür gegebenenfalls eine strukturierte Unterstützung und Begleitung? Davon ist auszugehen.

Ich plädiere für eine Vielfalt der Führung. Vielfalt der Führung heißt nicht, männliche Führungskräfte durch weibliche Führungskräfte auszutauschen. Vielfalt der Führung bedeutet, individuelle Führungsverständnisse nicht nur zuzulassen, sondern dies auch zu fördern. Wenn fünf Führungskräfte in einem Raum sitzen und man ihnen die Frage stellte, wie sie führen, dann bedeutete Vielfalt der Führung, dass man fünf unterschiedliche Antworten erhielte. Wenn ein Führungsverständnis „gemeinsam“ sein sollte, dann weniger zwischen unterschiedlichen Führungskräften, sondern vielmehr zwischen der Führungskraft und ihren Geführten.

  • Mein Buch zur Thematik

    In diesem Buch steht nicht, was das „richtige“ Führungsverständnis ist. Es wird gezeigt, wie man es entwickelt, vermittelt und danach handelt.

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  • Mein Ansatz im Überblick

    Hier finden Sie einen Überblick über meinen Ansatz. Er ist erprobt und funktioniert. Führungskräfte schätzen ihn.

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Wirksame Führung 10 Hypothesen

10 Hypothesen zu wirksamer Führung im Alltag

#1: Erfolgreiche Führungskräfte verstehen ihre aktuelle und zukünftige Führungsumwelt, in der sie als Führungskraft gegenüber ihren Geführten wirken.

#2: Führungskräfte können vier distinkte Rollen einnehmen. Man kann folgende Rollen unterscheiden: die des Bosses, des Coaches, des Partners und des Befähigers.

#3: Je nach Führungsumwelt sind bestimmte Rollen geeigneter und andere weniger geeignet. Die richtigen Rollen ergeben das Führungsverständnis, das über Funktionalität oder Dysfunktionalität der Führung entscheidet.

#4: Erfolgreiche Führungskräfte haben ein klares Führungsverständnis. Sie kennen ihre primären Führungsrollen und ihren Rollenmix.

#5: Es liegt in der Verantwortung der Führungskraft, ihren eigenen, geeigneten Führungsverständnis zu definieren, und nicht in der Verantwortung der Geführten oder des Unternehmens.

#6: Wirksame Führung setzt voraus, dass in der Führungskraft-Geführten-Beziehung ein gemeinsames Führungsverständnis besteht. Erfolgreiche Führungskräfte vermitteln daher ihre Rolle gegenüber ihren Geführten.

#7: Eine Führungskraft kann ihr Führungsverständnis nur oder vor allem dann wirksam umsetzen, wenn ihre nächsthöhere Führungskraft sie lässt.

#8: Erfolgreiche Führungskräfte sind in der Lage, alle vier Rollen einzunehmen. Manche Situationen erfordern ein Abweichen von den primären Rollen.

#9: Gute Führung erfordert eine kontinuierliche, bewusste Reflexion des eigenen Rollenverständnisses und geeigneter Verhaltensoptionen in Bezug auf konkrete Führungssituationen.

#10: Führungsinstrumente helfen, das eigene Führungsverständnis in die Tat umzusetzen. Sie funktionieren nur dann, wenn sie mit den primären Führungsrollen kompatibel sind.

Diese zehn Hypothesen beschreiben mein Führungsmodell, dass ich ausführlich in meinem 2022 erschienenen Buch „Das richtige Führungsverständnis. Wie Sie Ihre Führungsrolle definieren, vermitteln und wirksam umsetzen“ (Heidelberg: SpringerGabler) erläutert habe und in immer mehr Unternehmen praktisch angewandt wird.

BLOG Wertschätzung

Die wahre Bedeutung von Wertschätzung

Kunden bezahlen nicht dafür, dass wir uns chronisch liebhaben

Es ist schön, wenn man gelobt wird, von wem auch immer, vom Chef, von Kollegen oder von Kunden. Keine Frage. Natürlich wünscht man sich, dass die eigene Leistung, der eigene Beitrag sichtbar wird und Anerkennung findet. Und so wundert es nicht, wenn Mitarbeiter genau dies wünschen. Dies findet unter anderem seinen Widerhall in den üblichen Mitarbeiterbefragungen, in denen wiederholt und in vielen Unternehmen zum Ausdruck kommt, die Mitarbeiter wünschten sich mehr Wertschätzung.

Nun stellt sich die Frage, wie Unternehmen auf diesen, nachvollziehbaren Wunsch reagieren sollten und ob dies überhaupt ihre Aufgabe ist. Letzteres wird von vielen Arbeitgeber nicht bezweifelt. Schließlich geht man implizit davon aus, Wertschätzung wäre ein relevanter Faktor in Bezug auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter und die Attraktivität als Arbeitgeber. Und im Nu sieht man strategische Themen, wie Leistung und Loyalität berührt. Und dann könnte man dazu neigen, Wertschätzung mit Feedback verwechselt. Und wer mag an der Bedeutung von Feedback für das Thema Lernen bezweifeln? Die Dinge sind aber etwas vielschichtiger, als sie zunächst scheinen.

Zunächst zu Letzterem. Wertschätzendes Lob und Feedback sind zwei unterschiedliche Dinge. Lob ist ein sozialer Verstärker, der den Gelobten dazu bringen soll, das geleistete bei nächster Gelegenheit zu wiederholen. Ähnlich wie bei einem Like in den sozialen Medien geht es meist eher um die Verstärkung der Beziehung als um eine ehrliche Reaktion auf irgendein Verhalten oder einen Beitrag. Wertschätzendes Lob muss freiwillig erfolgen, sonst funktioniert es nicht. Die Aufforderung „Bitte, lob mich mal!“ macht ehrliches Lob im selben Moment unmöglich. Ganz anders verhält es sich bei konstruktivem Feedback. Feedback rückt weniger den Menschen, sondern sein Verhalten in den Mittelpunkt. Es dient dazu, etwas besser zu machen, Verhalten zu ändern. Anders als Lob, sollte Feedback aktiv eingefordert werden, während unaufgefordertes Feedback nicht selten als anmaßend aufgefasst wird. Wenn also Unternehmen so genannte Feedback-Apps einführen, um laterales, kontinuierliches Feedback zu fördern, erhalten die Rezipienten meist unaufgefordertes Lob, und eben nicht Feedback. Dies liegt schlichtweg in der psychologischen Natur der Akteure.

Betrachten wir aber nun das Phänomen der Wertschätzung selbst. Man mag denken, Wertschätzung sei gleichbedeutend mit Lob, weil Lob grundsätzlich als Akt der Wertschätzung gesehen und erlebt wird. Echte Wertschätzung im Unternehmenskontext kann und sollte aber etwas anderes bedeuten. Wertschätzung ist die Investition in die Ideen und Sichtweisen eines Anderen. Ein praktisches Beispiel mag dies verdeutlichen: Ein Kollege artikuliert eine Idee. Wertschätzung könnte nun bedeuten, ihn dafür zu loben. „Hey Jürgen, Deine Idee finde ich wirklich ganz toll“. Das wäre für alle Beteiligten sicherlich die einfachste Reaktion und man fragt sich, inwieweit sich der Lobende wirklich mit der Idee auseinandergesetzt hat. Echte Wertschätzung bedeutet aber, dass sich der Andere intensiv mit der Idee auseinandersetzt, sich Zeit nimmt, sich in die Idee hineindenkt, sie reflektiert, darüber nachdenkt und am Ende möglicherweise den Mut aufbringt, sie kritisch und differenziert zu beurteilen.

In der Wissenschaft ist dies üblich. Hier wird sehr kritisch diskutiert, was für den Kritisierten nicht immer einfach auszuhalten ist. Wertschätzung bedeutet aber eben nicht, sich kontinuierlich auf die Schultern zu klopfen. Kunden bezahlen nicht dafür, dass sich Mitarbeiter eines Unternehmens chronisch liebhaben, sondern dafür, dass in einem Unternehmen hart und differenziert in der Sache um bestmögliche Lösungen gerungen wird. Dies wiederum erfordert kontroverse Auseinandersetzungen. Sich mit den Ideen und Sichtweisen eines Anderen auseinanderzusetzen ist anstrengend, eine echte Investition. Wir sollten daher lernen, zum Teil heftige, sachliche Kritik an eigenen Ideen nicht als Angriff, persönliche Abwertung, Diskriminierung oder Exklusion aufzufassen, sondern als ein Akt der Wertschätzung. Dabei ist es wichtig, diese Form der Wertschätzung auf sachlicher und nicht auf persönlicher Ebene zu praktizieren. Dafür braucht es entsprechende Räume, Gelegenheiten und nicht selten ein gewisses Maß an Diskretion. Öffentliche Kritik (Wertschätzung) etwa in den sozialen Medien kommt nicht immer gut an. Vor allem aber erfordert Wertschätzung die Bereitschaft des Wertgeschätzten, diese auch anzunehmen, so paradox dies auch auf den ersten Blick erscheinen mag.

Identitätspolitik in 9 Thesen

Identitätspolitik in 9 Thesen

Ideologisch geprägter Irrweg oder konstruktiver Ansatz für mehr Gerechtigkeit?

Zahlreiche Meinungsbeiträge, Aktivitäten oder Lösungsvorschläge zu den Themen Diversity, Inklusion und Equity basieren implizit oder explizit auf einer Reihe von Thesen, die einer identitätspolitischen Sichtweise entsprechen.

#1. Die soziale Wirklichkeit besteht aus abgrenzbaren Gruppen basierend auf Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung etc. Identität ergibt sich aus der (zum Teil selbstbestimmten) Zugehörigkeit zu einer oder mehreren Gruppen.

#2. Es gibt eine Ungleichheit in den Lebensbedingungen (Privilegien, Ressourcen etc.) zwischen den Gruppen. Dies ist ungerecht und muss bekämpft werden. Benachteiligte Gruppen werden als marginalisierte Minderheiten gesehen.

#3. Die Bedingungen der marginalisierten Minderheit sind die Folge einer Unterdrückung durch die unterdrückende Mehrheit. Es gibt Opfer und Täter. Es liegt an der unterdrückenden Mehrheit, sich zu ändern.

#4. Von Natur aus sind alle Menschen gleich. Unterschiede zwischen den Gruppen entstehen durch die Umwelt, in der die Mitglieder der Gruppen aufwachsen und leben. Sie sind also nicht genetisch bedingt.

#5. Ein (verblendetes) Mitglied der unterdrückenden Mehrheit kann sich nicht in die Erfahrungen und Sichtweisen der marginalisierten Minderheit versetzen. Mitglieder der marginalisierten Minderheit haben daher das natürliche Vorrecht, sich zu ihrer Situation und zu Lösungen zu äußern.

#6. Das Erleben eines Mitglieds der marginalisierten Minderheit entscheidet darüber, ob es sich bei einem beobachteten Verhalten um Hass oder Diskriminierung handelt. Das Erleben ist entscheidend, nicht die Intention des Akteurs.

#7. Ein Mitglied der unterdrückenden Mehrheit hat nicht das Recht, den Mitgliedern der unterdrückten Minderheit eine Mitverantwortung für ihre Situation zuzuschreiben oder sie in irgendeiner Weise zu kritisieren.

#8. Wer eine oder mehrere der obigen Hypothesen oder von der marginalisierten Gruppe vorgebrachte Lösungen in Frage stellt, handelt moralisch verwerflich und ist ein X-ist (Sexist, Rassist etc.).

#9. Es besteht eine moralische Verpflichtung, X-isten das Recht abzusprechen, ihre Sichtweisen, öffentlich zu artikulieren. Dafür mag auch die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt sein, wenn die öffentliche Hand zu versagen scheint.

Es ist grundsätzlich richtig und wichtig, Thesen jedweder Art kritisch, konstruktiv und nach Möglichkeit evidenzbasiert zu reflektieren und die gesellschaftlichen Folgen zu bedenken.