Autor: Armin Trost

BLOG Active Sourcing

Active Sourcing ist super aufwendig

Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass es im Arbeitsmarkt drei Arten von Menschen gibt, nämlich die nicht suchenden, die aktiv suchenden und die passiv suchenden. Nicht Suchende sind an keinerlei Veränderung in ihrer Karriere interessiert. Die aktiv Suchenden sind das genaue Gegenteil. Sie stehen unter Druck und wünschen sich eher heute als morgen einen neuen Job, oder einen Job überhaupt. Die Passiven haben meist einen Job, sind aber für Neues aufgeschlossen.

Nun ist eine logische Konsequenz, dass man die nicht Suchenden nicht erreicht und es aktiv Suchende aufgrund der Engpässe in den Arbeitsmärkten kaum gibt. Bleiben die passiven Aufgeschlossenen. Diese muss man als Arbeitgeber aktiv finden und ansprechen, die Grundidee von Active Sourcing. Dieser Begriff „Active Sourcing“ wurde in den späten 90ern erfunden und ist übrigens ein deutsches Wort, ähnlich wie „Public Viewing“. Mir ist Stand heute kein international gebräuchlicher Begriff für Active Sourcing bekannt.

Nun könnte man meinen, Active Sourcing sei im Grunde einfach. Man sucht passende Leute etwa auf LinkedIn, spricht sie an und die Dinge nehmen ihren Lauf. Vielleicht könnte man das Ganze auch mittels künstlicher Intelligenz automatisieren. Ich denke, das ist falsch gedacht.

Aber eins nach dem Anderen.

Wo ergibt die aktive Suche und Ansprache potenzieller Kandidaten überhaupt einen Sinn? In erster Linie ergibt Active Sourcing dann einen Sinn, wenn es um die Besetzung singulärer, schwer zu besetzender Positionen geht. Das sind solche Positionen, wo viele Unternehmen reflexartig nach dem Personalberater rufen. Man spricht hier auch von der „Schwierigen Expertensuche“. Ich suche einen Experten für internationales Steuerrecht oder einen Betriebsarzt um nur zwei typische Beispiele zu nennen. Hier lohnt sich weder eine Employer-Branding-Kampagne noch der Aufbau einer Talent Community.

Active Sourcing ist super aufwendig. Das wird spätestens dann klar, wenn man sich vor Augen führt, welche grundsätzlichen Prämissen im idealen Fall befolgt werden sollten:

  • Man benötigt ein Job-spezifisches Arbeitgeberversprechen, dass nur mit Menschen erarbeitet werden kann, die diesen Job wirklich kennen. Dasselbe gilt für relevante Suchkriterien.
  • Man muss sich mit den Kandidaten wirklich persönlich auseinandersetzen. Alles andere ist insbesondere für die Kandidaten lästig und kaum wertschätzend.
  • Man bemüht aktiv die einschlägigen Netzwerke aktueller und ausgewählter Kollegen. Man wartet nicht auf Empfehlungen sondern fordert sie ein.
  • Die persönliche Ansprache von Kandidaten sollte durch einen möglichst erfahrenen Vertreter aus dem Fachbereich erfolgen, also besser nicht durch einen Personaler oder Personalberater und schon gar nicht durch eine Maschine.
  • Spreche nur Kandidaten an, die ernsthaft in Frage kommen könnten. Man sollte Kandidaten nicht unnötig heiß machen.
  • Vertreter der Fachbereiche und insbesondere die einstellende Führungskraft benötigen in Folge der Ansprache sehr viel Zeit um für persönliche, teils lange Gespräche zur Verfügung zu stehen.
  • Auch der gesamte Auswahlprozess im Falle eines Interesses muss im Sinne eines bestmöglichen Kandidatenerlebens schnell, wertschätzend und transparent sein.

Ja, gerade große Unternehmen haben ein natürliches Bestreben, Aktivitäten und Prozesse möglichst skalierbar und effizient zu gestalten. Meist geht es ja um Masse. Entsprechend erleben wir aktuell eine zunehmende Debatte über die Industrialisierung der Kandidatensuche und -ansprache. Die grundsätzliche Frage ist aber, ob man auf Effizienz oder auf Effektivität setzt. Effizienz mag einfach sein mit den nötigen technischen Mitteln. Bei der Personalgewinnung kann Erfolg aber vor allem bedeuten, effektiv zu sein. Ob wir es wollen oder nicht, Effektivität hat einen hohen Preis.

Center of Expertise. Network of Experts

Vom Center of Expertice zum Network of Experts

„HR kann im Grunde jeder“ hört man so manche Kollegen zuweilen sagen. Diese Ansicht ist schlichtweg falsch. Nicht selten wird sie durch den Hinweis ergänzt, es käme eher auf Business-Erfahrung an. Können Sie eine wirksame Employer-Branding-Kampagne entwickeln und umsetzen? Sind Sie in tarifrechtlichen Fragen sattelfest? Können Sie eine HR-IT-Lösung implementieren? Wissen Sie, worauf es bei der Einführung einer Fachkarriere ankommt? Wissen Sie, was zu tun ist, wenn man akut 30 Softwareentwickler gewinnen und einstellen muss? Die Antwort ist für Nicht-Personaler und selbst für die meisten Personaler klar: Fünf mal „Nein“. Es gibt ein simples wie wahres Grundprinzip, wonach fachliche Komplexität grundsätzlich Expertise erfordert. Dies ist in anderen Funktionen, wie Einkauf, Finanzen, Marketing, Logistik nicht anders. Die Beantwortung der obigen Fragen erfordern genau das, wenn man die Dinge richtig machen möchte.

Unternehmen, die dem verbreiteten Dave-Ulrich-Modell bzw. Drei-Säulen-Modell der Personalorganisation folgen, haben diese Experten in einer eigenen Einheit gebündelt. Wir sprechen vom so genannten Center of Expertice (CoE), das in der Regel im Headquarter angesiedelt ist. Meist spielen sie den so genannten HR Business Partnern, die direkt mit den Fachbereichen zusammenarbeiten die Bälle zu und unterstützen aus der zweiten Reihe heraus. Darüber hinaus entwickeln sie zum Teil umfangreiche Konzepte mit strategischer Bedeutung: Ein neues Talent Management. Eine agile Neuauflage des Performance Management etc. Man hat normalerweise weder mit Menschen noch mit dem Business direkt zu tun. Gegenstand der Bemühungen sind Systeme, Prozesse, Instrumente, KPIs.

Genau darin liegt das Problem. Ich kenne sehr viele HR-Experten in CoEs und bin von deren fachlichem Tiefgang, ihrem Reflexionsvermögen und ihrem inhaltlichen Verständnis nicht selten beeindruckt. Das sind wirklich Profis. Gleichzeitig beobachten wir, dass deren Arbeit viel zu häufig an der Realität vorbei geht, die Ergebnisse zu kompliziert sind, keine Wirksamkeit entfalten, sich manchmal für das Business sogar als schädlich erweisen. Das wollen diese Kollegen im HR nicht. Im Gegenteil. Sie wollen einen guten Job machen, wie Andere in anderen Funktionen auch. Das Problem ist struktureller Art. Center of Expertice sind strukturell zu weit von jenen Bereichen getrennt, innerhalb derer sie eigentlich wirken sollen. CoEs sind Silos jenseits der betrieblichen Realität. Darüber hinaus erleben sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht, was Feedback und dadurch Lernen unmöglich macht. Feedback kommt von der nächst höheren Ebene aber selten aus dem Business selbst. Das ist  in gewisser Weise toxisch.

Ich gehe davon aus, dass sich Unternehmen zunehmend von dieser Organisationsform distanzieren werden. Anstatt dessen werden sie wahrscheinlich auf Netzwerke fachlicher Experten setzen  – Networks of Experts (NoEs). NoEs sehen sich in erster Linie den jeweiligen personalrelevanten Herausforderungen gegenüber verpflichtet und jenen Kollegen, die mit diesen konfrontiert sind. Von Letzteren erhalten sie auch nicht nur ihre Aufträge sondern unmittelbares Feedback. Bei Experten kann es sich um Interne wie Externe handeln. Gerade bei Herausforderungen, die mit einer hohen sozialen Dynamik verbunden – und das ist im HR-Kontext häufig der Fall – arbeiten NoEs eng mit Kollegen aus den Fachbereichen zusammen und teilen die Verantwortung.

Die Liste möglicher, beispielhafter Einsätze ist endlos. Ein Unternehmensbereich sucht möglichst schnell deutlich mehr Data Scientists, als der Markt offenbar hergibt. Ein anderer Unternehmensbereich wird mit einem weiteren Bereich zusammengelegt. Es ergibt sich daraus eine Vielzahl personalrelevanter Fragestellungen. Eine Division denkt über ein neues, variables Vergütungssystem nach, das neben Teamarbeit auch Eigenverantwortung fördern soll. Dem Forschungs- und Entwicklungsbereich schwebt vor, mittels Fachkarrieren strategisch relevante Expertise langfristig zu sichern und attraktive Rahmenbedingungen für Fachexperten zu schaffen.

Einmal kommt eine Art Talent-Acquisition-Sonderkommando zum Einsatz und das Andere mal der externe, individuelle Arbeitsrechtler. Bei einem anderen Fall wiederum agieren hochprofessionelle Transformationsbegleiter, während sich an anderer Stelle erfahrene Eignungsdiagnostiker ans Werk machen. Experten befassen sich niemals mit wiederkehrenden Routinen sondern gehen dort hin, wo es brennt. Neben fachlichem Tiefgang verfügen sie über langjährige Erfahrungen in der Anwendung relevanter Arbeitsmethoden, wie sie beispielsweise in Unternehmensberatungen längst üblich sind.

All das eben Beschriebene ist Stand heute hypothetisch und soll bestenfalls zum Nachdenken anregen. Kenne ich Unternehmen, die diesen Ansatz bereits erfolgreich praktizieren? Kaum, oder nur in Teilen. Tatsächlich erlebe ich aber zahlreiche Unternehmen, die über genau diesen Weg nachdenken. Es bleibt spannend.

BLOG Wir sind häufig zu lösungsorientiert

Wir sind häufig zu lösungsorientiert

Häufig gilt es als eine Stärke, lösungsorientiert zu sein. Der Eine reagiert auf ein bestehendes Problem unmittelbar mit einem Lösungsvorschlag. Der Andere schlägt zunächst vor, eine Doktorarbeit über Probleme und deren Ursachen anzufertigen. Man darf raten, wer die Lorbeeren erntet. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass Lösungsorientierung eine wesentliche Ursache dafür ist, dass viele HR-Konzepte ihren Praxistest nicht bestehen.

Auf Konferenzen der HR-Community werden meist Lösungen präsentiert. Man lernt, was andere Unternehmen tun. Berater bieten ihre Lösungsansätze feil. Viele Personaler gieren regelrecht nach Best Practices. Ihre eigene Unsicherheit lässt sie nach Lösungen anderer Unternehmen hungern. Blogs und Artikel über scheinbar erfolgreiche Ansätze erzielen die meisten Likes. Bosch macht jetzt das. Zalando macht jetzt dies. Wow! Ich war selten besser. In zahlreichen Büchern und Artikeln wurde ich nicht müde, zu beschreiben, was man tun sollte und wie man Dinge richtig macht. Das kam meist ziemlich gut an.

Die Rede ist von Employer Branding, Kompetenzmanagement, Mitarbeiter-befragung, das jährliche Mitarbeitergespräch, Working out Loud, Assessment Center, kollegiale Fallberatung, Talent Review, 360-Grad-Beurteilung, variable Vergütung, Betriebskindergarten, Online-Bewerbung, betriebliches Vorschlagswesen, Mitarbeiterempfehlungsprogramm, die Learning Journey ins Silicon Valley, Coaching, Mentoring und und und.

Lösungen geben uns Sicherheit. HR ist schließlich wage genug. Da hat man gerne etwas, woran man sich zügig festhalten kann, etwas greifbares, etwas zum präsentieren, etwas darstellbares, auf Folien etwa. Sobald man eine Lösung hat, besteht die Gefahr, dass man sich als Team in sie verliebt und gänzlich damit aufhört, sie zu hinterfragen, vor allem dann, wenn eine dominierende Führungspersönlichkeit die Lösung hoch hält. Der Psychologe nennt das „Gruppendenken“ (Groupthink). Und wenn der Vorstand oder gar der Betriebsrat einer Lösung zugestimmt hat, dann darf es kein Zurück mehr geben.

Das Problem der Lösungsorientierung besteht darin, dass wir häufig und zu schnell das Problem und dessen Kontext aus den Augen verlieren. Wenn 360-Beurteilung die Lösung ist, was ist dann das Problem und wer hat dieses? Wenn eine schriftliche Mitarbeiterbefragung die Lösung ist, wessen Problem wird damit gelöst und worin besteht dieses Problem? Es genügt nicht, nur einmal die „Warum“-Frage zu stellen. „Und warum wollen wir das machen?“. Man muss mindestens drei mal „Warum?“ in den Raum rufen um möglicherweise auf des Kaiser’s neue Kleider aufmerksam zu machen. Wir führen jetzt einen Betriebskindergarten ein. „Warum?“. Viele Mitarbeiter wünschen dies seit vielen Jahren. „Warum?“. Weil manche Mütter und Väter mehr Flexibilität in ihrer Lebensführung wünschen und wir uns darum kümmern sollten. „Warum?“. Das steigert deren Produktivität und Loyalität. „Warum?“. Was ist das Problem zu dessen Lösung der Betriebskindergarten beiträgt? Bitte nicht missverstehen. Ich habe pauschal nichts gegen Betriebskindergärten einzuwenden. Ich bin auch nicht grundsätzlich gegen Employer Branding, 360-Beurteilung etc. Im Gegenteil. Sobald wir uns aber angewöhnen, zuerst das Problem zu verstehen und diejenigen, die das Problem zu haben scheinen, dann werden wir besser in der Lage sein, auch die richtige Lösung zu entwickeln. Vor allem wird man nicht selten erkennen, dass ein Problem mehrere oder andere Lösungen kennt, als jene, die man zuallererst festgelegt hat.

Modere Personalgewinnung,
die funktioniert

Aktuell befindet sich die industrielle Großwetterlage in einem umfassenden Wandel. Digitalisierung und Industrie 4.0 verändern Technologien, Produkte und die Wirtschaft grundlegend. Vernetzte Produkte und Prozesse streben nach vernetzten Organisationen und damit einhergehend nach einem sich ändernden Verständnis von Führung und Organisation. Starre Hierarchien werden zunehmend durch sich selbst steuernde, laterale Netzwerkstrukturen ergänzt und teilweise abgelöst.

Wir werden weniger Bosse haben, dafür mehr Coaches und partnerschaftliche Führung auf Augenhöhe. Langfristige Planungszyklen mit hierarchischen Feedbackschleifen machen Platz für unmittelbares und kurzzyklisches Kundenfeedback. Teams (nicht Individuen) erhalten mehr Freiräume und Eigenverantwortung auf der Basis höherer Selbstorganisation. Sie übernehmen Verantwortung für selbstdefinierte Leistungs- und Entwicklungsziele und die Art und Weise ihrer Erreichung.

Individualität (Diversity) und individuelle Lebensentwürfe (flexible Arbeitsstrukturen) erfahren gegenüber Konformität eine höhere Bedeutung und Wertschätzung. In diesem Vortrag zeige ich, wie derzeit in zahlreichen Unternehmen unterschiedlichster Größe und Branchenzugehörigkeit ein Umdenken erfolgt. Das Spannungsfeld zwischen Stabilität und Agilität sowie dessen Relevanz für Innovationskraft wird für alle Anwesenden greifbar. Es wird deutlich, was diese Entwicklung für Führungskräfte, Mitarbeiter und Entscheider konkret bedeuten kann und wie eine Transformation hin zu einem alternativen Führungs- und Organisationsverständnis gerade bei traditionellen, hierarchischen Unternehmen möglich ist.

 

Wer fühlt sich ange­sprochen?

Geschäftsführer kleiner, mittelständischer und großer Unternehmen. Diesen englischsprachigen Vortrag habe ich bereits 2015 in Wien gehalten. Er scheint aktueller denn je.

 

BLOG Wer bitteschön ist „man“?

Wer bitteschön ist „man“?

Man muss die Mitarbeiter mitnehmen. Ja, sicher. Mit eignungsdiagnostischen Mitteln kann man feststellen, ob ein Bewerber für einen Job geeignet ist. Absolut. Mittels People Analytics kann man die Wahrscheinlichkeit ermitteln, mit der ein Mitarbeiter das Unternehmen freiwillig verlassen wird. Ja, mag sein. Man kann Beurteilungsverfahren nutzen, um festzustellen, wie talentiert jemand ist. Weiss ich. Man sollte den Leuten mehr Freiheit geben. Ja, wäre schön.

Kaum ein Praktiker wird all diese beispielhaften Aussagen anzweifeln. Und genau darin liegt ihre Gefahr. Sie mögen sachlich zutreffend erscheinen, weswegen kaum darüber gestritten wird. Aber, wer bitteschön ist „man“? Hier kommen implizite Annahmen zum Tragen, die zwar selten thematisiert werden, aber den eigentlichen Unterschied ausmachen. Ja, mit einem 360-Grad-Feedback kann man feststellen, wie eine Person sich sieht und von Anderen wahrgenommen wird. Kein Zweifel. Wer aber ist dieses „man“? Ist das die Personalabteilung, die Geschäftsführung, der Coach, die betroffene Person selbst oder gar eine Mischung? Je nachdem, wie die Antwort ausfällt sprechen wir von gänzlich unterschiedlichen Ansätzen, Rollen, Lösungen und sozialen Dynamiken.

Ich fürchte, wir implizieren bei „man“ reflexartig die Personalfunktion. Und genau das spiegelt ein HR-Verständnis aus dem vergangenen Jahrhundert wider. Man tut etwas mit den Leuten. Man stellt fest, wie die Leute sind, was sie wollen, können etc. Und dann macht man etwas mit dieser humanen Ressource. Man wählt sie aus. Man versetzt sie. Man entwickelt sie. Man befördert sie. Man entsendet sie. Man trennt sich einvernehmlich. Wenn „man“ die Personalfunktion ist, dann sprechen wir über eine klare Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Opfer und Akteur. Die Personalfunktion agiert, um am Ende sicherzustellen, dass man den richtigen Mitarbeiter zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz hat. Klingt das nicht vertraut?

Was, wenn „man“ die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst sind? Wenn sie selbst feststellen, ob sie für einen Job geeignet sind, welche Entwicklungsmaßnahme für sie gut ist, woran sie arbeiten sollten, ob der Job noch der richtige ist, wie gut sie in etwas sind etc. Was, wenn sie sich selbst die Freiheit nehmen, sich selbst einbringen (anstatt mitgenommen zu werden)? Was, wenn es die Mitarbeiter selbst sind, die primär von People Analytics profitieren? Das wäre eine Form von HR, die ich als zukunftsfähig und mündig betrachten würde.

Wir sollten uns die Frage „Wer bitteschön ist ‚man‘?“ zur Gewohnheit machen. Ich selbst tue das seit etlichen Jahren und bin regelmäßig erstaunt darüber, welche fundamentalen Diskussionen diese Frage auszulösen vermag. Wo vorher einmütige Zustimmung war eröffnen sich wertvolle Auseinandersetzungen über die Rolle von HR, der Führungskräfte oder der Mitarbeiter. Gott sei Dank, denke ich dann. Was für eine geniale Zwischenfrage.

BLOG Und jährlich grüsst das Mitarbeitergespräch

Und jährlich grüßt das Mitarbeiter­gespräch

Wieder beginnt ein neues Jahr und in den meisten Unternehmen werden sich Szenen, wie die folgende abspielen: Der Chef spricht einen seiner Mitarbeiter an. „Jürgen, können wir uns diese Woche irgendwann für eine Stunde zusammensetzen? Das jährliche Mitarbeitergespräch steht mal wieder an“. Jürgen: „Muss das denn wirklich sein?“. „Ja, das muss sein. Die Personalabteilung besteht darauf. Und Du weißt ja: Don’t mess with HR“. Also setzt man sich zusammen, nimmt das Protokoll vom Vorjahr zur Hilfe und passt das Formular entsprechend an. Man tut sich nicht weh. Die meisten Punkte sind eh klar und am Ende ist HR zufrieden. Andere Mitarbeiter erleben das jährlich Mitarbeitergespräch auf andere Weise: „Ich finde das Mitarbeitergespräch gut. Im Grunde ist das die einzige Gelegenheit im Jahr, um über meine Aufgaben, Arbeitsbedingungen, meine Leistung, Entwicklung und Ziele zu sprechen. Das geht sonst im Alltag unter. Nie bekomme ich sonst so viel Aufmerksamkeit von meinem Chef, wie in diesem Gespräch“. Beide Konstellationen haben etwas Beschämendes an sich. Die erste fühlt sich nach halbherziger Pflichterfüllung gegenüber HR an. Die zweite erinnert an einen vernachlässigten Mitarbeiter, der offenbar auf einen offiziellen, von HR eingeforderten Termin angewiesen ist, um mit seinem Manager über Substanzielles zu sprechen, die anderen 364 Tage im Jahr aber leer ausgeht.

Kein Zweifel. Es ist immer gut, wenn Manager mit ihren Mitarbeitern sprechen aber braucht es dieses jährliche, institutionalisierte Mitarbeitergespräch wirklich? Und in welche Rolle bringen wir uns Personaler, wenn wir dieses Gespräch jedes Jahr aufs Neue einfordern?

Eines ist klar. Schlechte Führung wird durch ein verordnetes Mitarbeitergespräch nicht besser. Da helfen auch keine noch so durchdachten, gut gemeinten Formulare und Instrumente. Und Mitarbeiter und Manager, die das ganze Jahr über ein vertrauensvolles, vielleicht sogar partnerschaftliches Verhältnis pflegen erleben das Mitarbeitergespräch meist als überflüssig. Hierzu eine einfache Analogie. Es ist wichtig, dass Eltern mit ihren Kindern sprechen. Aber man stelle sich vor, das Familienministerium würde ein jährliches Eltern-Kind-Gespräch institutionell einfordern und die betroffenen Eltern müssten die Ergebnisse ihrer Gespräche an die öffentliche Verwaltung berichten. Das würde die Erziehung in Deutschland nicht verbessern. Abgesehen davon würde sich das Familienministerium mit diesem Vorstoß keine Lorbeeren verdienen.

Wir erleben in der modernen Arbeitswelt zunehmend eine Form partnerschaftlicher Führung als Alternative zu traditioneller Führung. Letztere basiert auf dem Prinzip von Weisung und Kontrolle. Partnerschaftliche Führung basiert demgegenüber auf Vertrauen. Damit hat man eine Ebene erreicht, die weiter und besser ist, als jede institutionalisierte Form der Führung jemals zu leisten vermag weil Vertrauen Komplexität reduziert – um hier den bekannten Soziologen Niklas Luhmann zu zitieren. In einem von Vertrauen geprägten Manager-Mitarbeiter-Verhältnis mutet ein institutionalisiertes Mitarbeitergespräch fremd an. Es passt nicht zu der Umgangsform, die man über das Jahr hinweg pflegt. So kann ich mir kaum vorstellen, dass Mick Jagger, der Chef der Rolling Stones jemals ein Mitarbeitergespräch mit Keith Richards durchgeführt hat. Die beiden haben eine andere, überlegenere Ebene der Zusammenarbeit gefunden, wo über Ziele, Erwartungen, Leistung offen gesprochen wird und zwar immer dann, wenn die Dinge anstehen – ohne HR und Formular.

Ich glaube, als Personaler müssen wir besonders Acht auf die Führungskultur geben, wenn wir unsere Organisationen mit einem institutionalisierten Mitarbeitergespräch beglücken, dieses aktiv einfordern, strukturieren und nachhalten. Die Sache wird schneller zur Farce als wir es uns vorstellen wollen. Viele Manager sind weiter, als wir mit unseren gut gemeinten Instrumenten Glauben machen und schlechte Führung können wir damit sicherlich auch nicht retten. Geben wir uns dieser Illusion vor unseren Mitarbeitern und Managern also besser nicht hin. Es bringt uns eher in eine zweifelhafte Position.

Aber was denn dann?

In der Tat gibt es in einem Manager-Mitarbeiter-Verhältnis unabhängig von der gegebenen Führungskultur Fragen, die zum Teil gemeinsam beantwortet werden müssen. Es geht um Aspekte mit unmittelbarer Relevanz für andere Prozesse in einem modernen Personalmanagement. Es geht um Aspekte, die für Mitarbeiter und Manager spürbare Implikationen haben, weswegen es sich für die Betroffenen lohnt, darüber zu sprechen. Ich denke hierbei an die Nominierung von Mitarbeitern als Nachwuchs- oder Nachfolgekandidaten. Ich denke an variable, leistungsabhängige Gehaltsbestandteile, an die persönliche Lebens- und Entwicklungsplanung eines Mitarbeiters. Über diese Dinge muss entschieden werden und meist ist es eine gute Idee, als Manager den betroffenen Mitarbeiter entsprechend einzubeziehen – in einem Gespräch. Diese Dinge können und müssen wir als HR einfordern aber bitte nur diese.

Aber braucht es hierfür ein jährliches, inhaltlich umfassendes und für Alle standardisiertes Mitarbeitergespräch? Ich denke nicht. Als Manager spricht man heute mit einem Mitarbeiter über seine schlechte Leistung. Morgen spricht man mit einem anderen über die Implikationen besonderer Erfolge. Übermorgen diskutiert man mit einem weiteren Mitarbeiter über seine Option, langfristig in einem Nachwuchsprogramm teilzunehmen. Das ist zumindest mein einfaches Verständnis alltäglicher, guter Führung. Relevante Aspekte werden geklärt – individuell und zu seiner Zeit. Ist es sinnvoll, mit jedem Mitarbeiter jährlich, individuell und erneut Ziele zu vereinbaren? Auch hier habe ich meine Zweifel ohne an dieser Stelle die grundsätzliche Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Zielvereinbarungen in einer dynamischen Welt und den aktuell diskutierten Folgen des Burnouts – immer schneller, weiter – eröffnen zu wollen. Mitarbeiter haben häufig Projektziele, die sich aus ihrer natürlichen, täglichen Arbeit ergeben. Bei anderen geht es einfach nur darum, auch zukünftig einen guten Job zu machen und die Kollegen wissen meist, was damit gemeint ist. Wenn nicht, sollte man nicht bis Januar mit der Klärung warten.

Dieser Beitrag ist im Jahr 2012 zunächst beim Harvard Business Manager und danach auf Spiegel-Online erschienen

BLOG Talente gesucht. Teamfähig, ergebnisorientiert und asozial

Talente gesucht – Teamfähig, ergebnisorientiert und asozial

Eine Top-Führungskraft muss strategisch denken können und dabei immer die Kernkompetenzen des Unternehmens, die Märkte und Kunden im Blick haben. Sie muss in der Lage sein, harte Entscheidungen zu fällen, Veränderungen voranzutreiben und Mitarbeiter empathisch aber bestimmt durch diese zu führen. Top-Führungskräfte sind Umsetzer, Gestalter, für die nur Ergebnisse zählen. Interkulturell sensitiv muss eine obere Führungskraft sein, auf allen Kontinenten zuhause und dabei immer auch ein Teamplayer, ein Vorbild für jeden – mit sichtbaren Wertvorstellungen. Erfolgreiche Führungskräfte sind visionär, haben klare Ziele vor Augen, nehmen ihre Mitarbeiter mit und können diese begeistern. Dabei bieten sie ihnen Entwicklungschancen, sind Lehrer, Mentor und Coach zugleich.

Eine Top-Führungskraft muss ihr Leben vollständig auf den Beruf und das Unternehmen ausrichten können, immer bereit sein für den Ernstfall – überall auf der Welt. Top-Führungskräfte kennen ihre Prioritäten. Fremdbestimmte Meetings und Telefonkonferenzen im 30-60-Minutentakt sind grundsätzlich wichtiger, als gemeinsames Frühstücken mit der Familie, Hausaufgaben, Gutenachtgeschichten. Die Erziehung der Kinder muss man anderen überlassen können, dem Partner oder der Nanny. Top-Führungskräfte können dies perfekt managen, orchestrieren – sogar aus der Distanz. Als Vorbilder sind Top-Führungskräfte vor dem ersten Mitarbeiter im Büro und verlassen das Schiff als letzte. Als Führungskraft kann man abgesägt werden – Mutter oder Vater bleibt man sein ganzes Leben. Die wirklich Erfolgreichen wissen das und sind in der Lage, ihre Ängste geschickt zu kanalisieren.

Wenn in einem Unternehmen in regelmäßigen Beurteilungsrunden Führungsnachwuchskräfte (High-Potentials) nominiert und identifiziert werden, darunter 30, 40 Prozent Frauen sind, es aber am Ende nur wenige Frauen in die oberen Etagen schaffen läuft im Talentmanagement dieses Unternehmens etwas grundlegend falsch. Die wenigsten weiblichen High-Potentials, die sich irgendwann eine Elternzeit erlauben erreichen eine obere Führungsposition. Ähnliches gilt für die immer größere werdende Zahl so genannter „Weicheier“ – Männer, die in Elternzeit gehen. Die überwiegende Mehrheit von Frauen auf Führungsebenen bleibt kinderlos.

Es geht mir an dieser Stelle weder um Gleichberechtigung oder um Diversity. Auch will ich kein Anwalt weiblicher Karriereaspirantinnen sein. Es geht hier einzig und allein um die Frage, inwieweit die Kultur in einem Unternehmen klugen, talentierten und hoch motivierten Menschen erlaubt, einen individuellen und ausgewogenen Lebensentwurf zu verwirklichen. Noch heute stellen die meisten Unternehmen im Rahmen ihrer Nachwuchsförderung Kompetenzen in den Vordergrund. Welche Superstar-Eigenschaften muss man mitbringen um „nach oben“ zu kommen? Diese gelten als Referenzrahmen bei der Auswahl und Förderung der Talente.

Nun sind Kompetenzmodelle und gut gemeinte Prozesse eines Talentmanagements das eine. Die Kultur im Unternehmen ist das andere. Wenn Kultur mit gut gemeinten Prozessen konkurriert verlieren immer die Prozesse. Am Ende scheitert ein nicht unerheblicher Teil an talentierten, motivierten Hoffnungsträgern an völlig asozialen Anforderungen geprägt durch eine fremdbestimmende Präsenzkultur. Schade nur, dass diese Kultur und ihre konkrete Bedeutung zum Zeitpunkt der Nachwuchsnominierung nur selten gemeinsam mit den Betroffenen reflektiert werden.

BLOG Bauernregeln in der Personalauswahl

Bauernregeln in der Personalauswahl

Es gibt sie offenbar immer wieder: Manager, die Bewerber anhand ausgefallener singulärer Kriterien ablehnen. Die einen begleiten Bewerber zu ihrem Auto und werfen einen Blick hinein – die Abwesenheit von Müll im Auto als Indikator für Zuverlässigkeit im Beruf und ordentlicher Aufgabenerfüllung. Andere wiederum legen besonderen Wert auf die sportliche Karriere der Bewerber. Im Team können nur jene Personen arbeiten, die bereits als Jugendliche eine Mannschaftssportart erfolgreich betrieben haben, so die implizite Annahme.

Wann immer Manager Ansprüche dieser Art hochhalten kann man sicher davon ausgehen, dass sie sich diese Kriterien selbst in hohem Maße zuschreiben bzw. sich darüber definieren. Manager mit hohem Anspruch an ihr äußeres Erscheinungsbild tun sich schwer, Bewerber zu akzeptieren, die zu ihrem Kurzarmhemd Krawatte oder – noch schlimmer – weiße Socken tragen. All dies ist menschlich nachvollziehbar. Professionell ist diese Form der Personalauswahl nur selten.

Hat etwa die Beherrschung der Rechtschreibregeln eine prädiktive Validität im Hinblick auf beruflichen Erfolg? Kann man aufgrund Rechtschreibemängel beruflichen Misserfolg vorhersagen? Die Antwort ist einfach: nur dann, wenn Rechtschreibung für den in Frage kommenden Job oder das Unternehmen relevant ist. Von der Rechtschreibefähigkeit auf Intelligenz, Teamfähigkeit, allgemeine Zuverlässigkeit oder sonstige Kompetenzen zu schließen ist aus wissenschaftlicher Sicht Unfug. Die Sache wird auch nicht besser, wenn die angesprochenen Manager auf ihre ausgeprägt Menschenkenntnis bzw. auf langjährige Beobachtungen verweisen.

Man bezeichnet solche Auswahlregeln auch als Heuristiken. Sie sind meist einfach und verfolgen das Ziel, mittels einfacher Regeln komplexe Sachverhalte zu beurteilen. Die bekannten Bauernregeln fallen in eine vergleichbare Klasse. Heuristiken sind nicht grundsätzlich falsch. Im Gegenteil. Meist bergen sie einen wahren Kern und sind im Alltag nicht selten hilfreich. „Hunde, die bellen beißen nicht“. Aber ihr Wahrheitsgehalt ist dennoch vergleichsweise überschaubar.

Es gibt mindestens vier Gründe, warum man auf Heuristiken der oben beschriebenen Art im Rahmen der Personalauswahl besser verzichten sollte.

Die Einstellung eines neuen Mitarbeiters ist mit gewissen Risiken behaftet. Dabei wiegt die Gefahr, den Falschen einzustellen höher als den Richtigen abzulehnen. Es geht darum, die Leistung eines Bewerbers valide vorherzusagen, was je nach Komplexität der Aufgabe mit einer entsprechenden Komplexität bei der Auswahl einhergeht. Sich nun auf eine Heuristik zu verlassen wird dieser Komplexität gerade in wissensintensiven Berufen selten gerecht. Dieser Punkt wiegt umso schwerer als in der Personalauswahl hinreichend valide Alternativen zur Verfügung stehen, um bestimmte, berufsrelevante Kriterien einzuschätzen.

Gerade in wissensintensiven Bereichen arbeiten Mitarbeiter zunehmend in Teams. Dabei müssen nicht alle Teammitglieder in allen Dingen gleichermaßen kompetent sein. Vielmehr kommt es darauf an, dass sich die Mitarbeiter in ihren Stärken und Schwächen gegenseitig ergänzen. Diese Idee widerspricht dem Ansatz, Bewerber kategorisch und aufgrund singulärer Kriterien auszuschließen. Ich kann mir kaum ein funktionierendes Team vorstellen, das etwa die Rechtschreibschwäche eines Einzelnen nicht verkraften könnte. Selbst der Legastheniker im Team mag Stärken haben, die die Schwächen Anderer im Team kompensieren.

Auch wenn es bei so manchen Managern noch nicht angekommen zu sein scheint: wir bewegen uns insbesondere in den westlichen Industrieländern in einen akuter werdenden Fachkräftemangel. Welches Unternehmen möchte es sich angesichts dieser Entwicklung leisten, einen ansonsten überzeugenden Kandidaten abzulehnen nur weil er in seiner Jugend keine Mannschaftssportart betrieben hat bzw. weiße Socken trägt?

Der entscheidende Grund gegen Heuristiken in der Personalauswahl ist aber die geringe Akzeptanz des „Verfahrens“ auf Seiten der betroffenen Bewerber. Ich will den Geschäftsführer sehen, der seine Ablehnung gegenüber einem Kandidaten ehrlich damit begründet, das Auto des Bewerbers sei am Tag des Interviews leider zu verdreckt gewesen. Es mag zu der Notwendigkeit, eine Begründung abzuliefern nicht kommen, trotzdem sollte die Fähigkeit, offen zu seiner Entscheidung stehen zu können handlungsleitend sein – zumindest wenn man den Anspruch hat, seinen Gegenübern mit Respekt begegnen zu wollen.

Im Personalmanagement können wir seit Jahren eine zunehmende Professionalisierung feststellen. Nicht alles ist Gold, aber Personalmanagement als Profession ist auf dem guten Weg. Anforderungen berufsrelevant zu definieren und Auswahlinstrumente adäquat einzusetzen ist in seiner Komplexität ein nicht zu unterschätzendes Handwerk von dem aber leider zu viele Manager glauben, es sei ihnen in die Wiege gelegt worden. Der Ruf des Personalmanagements leidet schon immer darunter, dass jeder im Unternehmen glaubt zu wissen, was gut und sinnvoll ist. Manager, die Heuristiken anwenden und am Ende sogar noch stolz darauf sind gehören aus meiner Sicht in diese Liga. Sie tun damit weder sich, noch ihrem Unternehmen und zuallerletzt den Kandidaten einen Gefallen. Deshalb: bitte keine Bauernregeln in der Personalauswahl. Bitte nicht!

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BLOG Mentoring Voice

Was wir von Voice-of-Germany über Mentoring lernen können

Finanzvorstand Dr. Pfister lässt eines Tages folgende Nachricht an Bernd Heifert verfassen: „Lieber Herr Heifert, wie Sie sicherlich schon von Ihrem Vorgesetzten erfahren haben wurde ich als Ihr Mentor bestimmt. Bitte setzen Sie sich mit meiner Assistentin in Verbindung und lassen Sie sich in den kommenden Wochen einen Termin geben. Alles Weitere werden wir dann besprechen. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit“.
Bernd wurde vor wenigen Tagen als Führungsnachwuchskraft, oder so genannter „High-Potential“ auserwählt. Er wusste bereits von einem Mentorenprogramm. Dass nun ausgerechnet der Finanzvorstand sein Mentor sein wurde überraschte ihn ein wenig. Er kannte ihn bislang nur von Bildern aus der internen Firmenzeitschrift. Bernd lies die Dinge auf sich zukommen und war gespannt.

Szenenwechsel. Anna ist leidenschaftliche Sängerin und steht eines Tages auf einer Bühne um ihr Talent unter Beweis zu stellen. Vor ihr sitzen fünf potenzielle Mentoren, die sie aber nicht sehen können. Während Anna singt muss jeder der potenziellen Mentoren für sich entscheiden, ob er an Anna glaubt oder nicht. Wenn dies das Fall ist drückt er einen Buzzer und bekommt Anna zu Gesicht. Am Ende entscheidet sie, welcher der Mentoren, sie bei dem weiteren Talentwettbewerb unterstützen darf.

Die Rede ist von der Fernsehshow „Voice of Germany“. Diese Show demonstriert eindrücklich, wie erfolgreiches Mentoring funktioniert. Beide Seiten – der Mentor und der Mentee – müssen sich bewusst füreinander entscheiden und aneinander glauben.

Unzählige, gut gemeinte Mentorenprogramme in Unternehmen haben gezeigt, dass eine formelle oder gar zufällige Zuordnung von Mentoren und Mentees wie in Bernd’s Fall nicht funktioniert. Sie werden zur Farce. Dies überrascht auch nicht, wenn man bedenkt, was ein erfolgreicher Mentor tut bzw. tun sollte. Ein guter Mentor setzt sich intensiv mit seinem Mentee auseinander, erkennt Stärken, Schwächen und Potenziale. Er gibt väterlichen Rat, öffnet Türen zu beruflichen Möglichkeiten und relevanten Netzwerken. Vor allem stärkt er seinem Schützling den Rücken, baut ihn auf. All dies funktioniert nur, wenn beide Seiten 100%ig aneinander glauben, sich gegenseitig vertrauen und voneinander profitieren.

Was ist, wenn Bernd seinen Mentor Dr. Pfister nicht mag oder ihn nicht als Vorbild anerkennt? Oder umgekehrt: was ist, wenn Dr. Pfister an Bernd nicht wirklich glaubt, ihn gar unsympathisch findet? Es wird das eine oder andere Meeting geben. Dr. Pfister wird seine Pflicht erfüllen und Bernd wird seinerseits nicht ablehnen können. Beide können sich die Zeit eigentlich sparen – außer sie haben Glück und der Zufall hat es gut mit ihnen gemeint.

Da helfen auch keine ausgeklügelten Matchingmethoden aus dem Personalmanagementlehrbuch. Egal, wie viel die Personalabteilung über beide Seiten weiß, sie ist niemals in der Lage Erfolg versprechende Zuordnungen vorzunehmen und aus der Distanz funktioniereden Mentoren-Mentee-Beziehungen aufzubauen. Sie kann aber Gelegenheiten schaffen, damit sich beide Seiten kennenlernen und finden können.

Ich würde mir in Unternehmen deshalb etwas mehr Voice of Germany wünschen. Gerade mittelständische Unternehmen haben aufgrund ihrer Größe die besondere Chance, potenzielle Nachwuchskräfte „antanzen“ zu lassen. Jeder Hoffnungsträger darf 20 Minuten vor der Geschäftsführung präsentieren. Danach ringen die Mitglieder der Geschäftsleitung darum, wer welchen Kandidaten unterstützen darf. Am Ende entscheidet der Kandidat. Sollte kein Mitglied der Geschäftsleitung an einen bestimmten Kandidaten glauben ist dieser raus aus dem Nachwuchsprogramm. Er hätte langfristig ohnehin keine Chance, in den engeren Kreis von Nachfolgekandidaten für Spitzenpositionen zu gelangen.

BLOG Vom täglichen Kampf des Coach

Vom täglichen Kampf des Coach gegen seinen Boss

Es gibt eine einfache Wahrheit, wonach eine agile Transformation niemals gelingt, wenn der CEO dies nicht aus tiefster Überzeugung will. Leser, die zu einer agilen Transformation in ihrem Unternehmen beitragen wollen, aber zugleich feststellen, dass ihr CEO nicht hinter diesem Thema steht können dieses Thema abhaken. Es hat einfach keinen Sinn. Man muss die Dinge in dieser Klarheit und Härte sehen, auch wenn die hohe Bedeutung des CEO auf den ersten Blick etwas hierarchisch anmutet. Wir beobachten sehr häufig, dass agil denkende Führungskräfte an ihrem hierarchisch ausgerichteten, organisationalen Überbau scheitern. In letzter Konsequenz ist hierfür der CEO verantwortlich.

Ein Beispiel aus dem Alltag mag dies verdeutlichten.

Der agil denkende und operierende Product Owner im Sinne von Scrum beispielsweise wird ein schweres Leben haben, wenn sein Chef ein Boss ist. Der Product Owner trägt die Verantwortung für die Entwicklung eines Produkts agiert aber aus einer moderierenden Rolle heraus. Er ist mehr Coach und Partner als Boss. Während er und sein Team nichts als die Kundenbedürfnisse im Blick haben, erwartet der Boss Reports und gibt Weisungen für Dinge, von denen er nur begrenzt Ahnung hat. In Konstellationen wie diesen wird der übergeordnete Boss zum größten Hindernis.

Umgekehrt werden Product Owner in einem solchen Setting alle Hände voll zu tun haben, ihr Team und dessen Arbeit vor dem Boss zu schützen. Um es noch plastischer auszudrücken, hier ein typischer Dialog zwischen einem Product Owner (PO) und einem übergeordneten Abteilungsleiter (AL):

AL: Schicken Sie mir bitte bis Ende des Monats einen Statusreport all Ihrer Projekte? Sie wissen ja, schön mit Ampeln und so . . .

PO: Wozu?

AL: Der Hauptabteilungsleiter [der Chef des AL] hat darum gebeten.

PO: Warum?

AL: Hat er nicht gesagt. Er will sie haben und deshalb bekommt er sie. So läuft das nun mal.

PO: Was, wenn ich das nicht einsehe?

AL: Dann habe ich ein Problem. Und das wollen Sie nicht, oder?

PO: Fragen Sie ihn wenigstens, wofür er die Berichte braucht. Und sagen Sie ihm bei der Gelegenheit, dass Berichteschreiben von unseren Kunden weder erwartet noch bezahlt wird.

AL: Ich hinterfrage keine Weisungen meines Vorgesetzen.

PO: Dann lassen Sie mich mit ihm reden.

AL: Das lässt mich schlecht aussehen. Sie tun das deshalb nicht.

PO: OK, dann sagen Sie ihm, wir würden uns über sein Interesse an unseren Projekten sehr freuen und er sei gerne jederzeit eingeladen an einem der kommenden Sprints teilzunehmen.

AL: Dafür wird er keine Zeit haben.

PO: Dann interessiert er sich offenbar nicht für das, was wir tun. Das können Sie ihm bitte ausrichten.

Und so geht das immer weiter, tagein, tagaus. Die ultimative Lösung dieses Problems kann nur darin bestehen, dass der CEO entweder das Unternehmen insgesamt oder einzelne Bereiche bzw. Piloten vor hierarchischen Mechanismen schützt. Gerade in hierarchischen Unternehmen, aber auch in agilen Organisationen hat der CEO ganz einfach die Macht dafür. Wenn er sich vor die Mannschaft stellt und klar verkündet, dass gewisse Dinge nicht mehr stattfinden, dann sind diese Dinge meist beendet.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus dem Kapitel „Transformation in eine agile Zukunft“ aus meinem neuen Buch Neue Personalstrategien zwischen Stabilität und Agilität, erschienen bei SpringerGabler, Heidelberg (2018).

BLOG Vorsicht Fachkarriere

Vorsicht Fachkarriere

Wenn ich mit Personalleitern über das Thema „Fachkarriere“ diskutiere, haben diese meist ganz bestimmte Personen in ihrem Unternehmen vor Augen. Da ist zum Beispiel Jürgen. Jürgen ist in seinem speziellen Fachgebiet ein echter Experte. Er kann etwas, was nur wenige können und ist darin für das Unternehmen extrem wichtig. Wenn Jürgen kündigen würde wäre dies für sein Unternehmen eine Riesenkatastrophe. Leute wie ihn gibt es auf dem Arbeitsmarkt nur sehr wenige. Den Geschäftsführer könnte man vergleichsweise einfach ersetzen, Jürgen nicht.

Da Jürgen keine Führungsverantwortung hat ist er einer unteren Gehaltsstufe zugeordnet. Jürgen will auch nicht führen. Unternehmenspolitik liegt ihm fern. Er liebt seine Aufgabe und für zahllose und aus seiner Sicht sinnlosen Meetings hat er weder den Nerv noch die Zeit. Für Personalleiter sind solche Fälle der blanke Horror. Wie soll er Jürgen erklären, warum er nur das verdient, was auf dem Gehaltszettel steht obwohl beide wissen, wie wichtig Jürgen eigentlich ist? Warum bekommt er keinen Firmenwagen nur weil er einer unteren Gehaltsstufe zugeordnet ist? Die Lösung lautet: Fachkarriere!

Mir ist Jürgen sehr sympathisch. Wir sind uns in gewisser Weise ähnlich. Ich selbst kann nicht führen, will das auch nicht. Zum Glück weiß ich das. Deshalb habe ich mich für eine Fachkarriere entschieden und bin Professor geworden. Jetzt habe ich die Freiheit das zu tun, was mir wichtig erscheint. Ich habe nichts gegen Führungskräfte, bin aber froh keinen Boss zu haben – zumindest kenne ich ihn nicht. An unserer Hochschule gibt es auch Manager, aber die sind letztendlich nur dafür da, dass ich einen guten Job machen kann. Ich verdiene anständig und führe einen schicken Titel. Was will man mehr?
Es gibt noch viele andere gute Beispiele von Fachkarrieren. Denken wir nur an Sebastian Vettel, Albert Einstein, Romy Schneider, Bob Dylan, Günther Grass, Heidi Klum. Sie sind alle ihren Weg gegangen, haben „Karriere gemacht“ aber mussten noch nie wirklich Mitarbeiter führen. Zumindest hielt sich deren Führungsverantwortung in überschaubarem Rahmen. In deren Umfeld gibt es Manager – allerdings in der zweiten Reihe.

Was wir heute unter dem Label „Fachkarriere“ in den meisten Unternehmen vorfinden hat mit diesen Beispielen nichts zu tun. Es geht dabei in erster Linie darum, geschätzte Experten „bei der Stange zu halten“. Dafür entwickelt man zu den existierenden Gehaltsstufen parallele Gehaltsstufen für Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung. Man vergibt besondere Privilegien, wie etwa flexiblere Arbeitsstrukturen oder wohl klingende Titel: „Senior Irgendwas Fellow“ und gewährt den so genannten Experten ein eigenes Budget für die eigene Weiterbildung, dessen Verwendung aber vom jeweiligen Chef abgesegnet werden muss.

Aber, machen wir uns nichts vor: In solchen Systemen sind Manager nach wie vor die eigentlichen Helden. Sie fällen relevante Entscheidungen und bestimmen über die Zukunft von Experten. Sie haben nicht nur die Macht sondern genießen auch das höhere Maß an Anerkennung in ihrer Organisation. Das werden sich die Manager auch trotz aller Bemühungen der Personalabteilung nicht nehmen lassen: „Wenn Jürgen geht, dann geht er halt, so leid uns das tut. Hauptsache ich bleibe, was ich bin“.