Wer bitteschön ist „man“?

Man muss die Mitarbeiter mitnehmen. Ja, sicher. Mit eignungsdiagnostischen Mitteln kann man feststellen, ob ein Bewerber für einen Job geeignet ist. Absolut. Mittels People Analytics kann man die Wahrscheinlichkeit ermitteln, mit der ein Mitarbeiter das Unternehmen freiwillig verlassen wird. Ja, mag sein. Man kann Beurteilungsverfahren nutzen, um festzustellen, wie talentiert jemand ist. Weiss ich. Man sollte den Leuten mehr Freiheit geben. Ja, wäre schön.

Kaum ein Praktiker wird all diese beispielhaften Aussagen anzweifeln. Und genau darin liegt ihre Gefahr. Sie mögen sachlich zutreffend erscheinen, weswegen kaum darüber gestritten wird. Aber, wer bitteschön ist „man“? Hier kommen implizite Annahmen zum Tragen, die zwar selten thematisiert werden, aber den eigentlichen Unterschied ausmachen. Ja, mit einem 360-Grad-Feedback kann man feststellen, wie eine Person sich sieht und von Anderen wahrgenommen wird. Kein Zweifel. Wer aber ist dieses „man“? Ist das die Personalabteilung, die Geschäftsführung, der Coach, die betroffene Person selbst oder gar eine Mischung? Je nachdem, wie die Antwort ausfällt sprechen wir von gänzlich unterschiedlichen Ansätzen, Rollen, Lösungen und sozialen Dynamiken.

Ich fürchte, wir implizieren bei „man“ reflexartig die Personalfunktion. Und genau das spiegelt ein HR-Verständnis aus dem vergangenen Jahrhundert wider. Man tut etwas mit den Leuten. Man stellt fest, wie die Leute sind, was sie wollen, können etc. Und dann macht man etwas mit dieser humanen Ressource. Man wählt sie aus. Man versetzt sie. Man entwickelt sie. Man befördert sie. Man entsendet sie. Man trennt sich einvernehmlich. Wenn „man“ die Personalfunktion ist, dann sprechen wir über eine klare Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Opfer und Akteur. Die Personalfunktion agiert, um am Ende sicherzustellen, dass man den richtigen Mitarbeiter zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz hat. Klingt das nicht vertraut?

Was, wenn „man“ die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst sind? Wenn sie selbst feststellen, ob sie für einen Job geeignet sind, welche Entwicklungsmaßnahme für sie gut ist, woran sie arbeiten sollten, ob der Job noch der richtige ist, wie gut sie in etwas sind etc. Was, wenn sie sich selbst die Freiheit nehmen, sich selbst einbringen (anstatt mitgenommen zu werden)? Was, wenn es die Mitarbeiter selbst sind, die primär von People Analytics profitieren? Das wäre eine Form von HR, die ich als zukunftsfähig und mündig betrachten würde.

Wir sollten uns die Frage „Wer bitteschön ist ‚man‘?“ zur Gewohnheit machen. Ich selbst tue das seit etlichen Jahren und bin regelmäßig erstaunt darüber, welche fundamentalen Diskussionen diese Frage auszulösen vermag. Wo vorher einmütige Zustimmung war eröffnen sich wertvolle Auseinandersetzungen über die Rolle von HR, der Führungskräfte oder der Mitarbeiter. Gott sei Dank, denke ich dann. Was für eine geniale Zwischenfrage.