Es gibt sie offenbar immer wieder: Manager, die Bewerber anhand ausgefallener singulärer Kriterien ablehnen. Die einen begleiten Bewerber zu ihrem Auto und werfen einen Blick hinein – die Abwesenheit von Müll im Auto als Indikator für Zuverlässigkeit im Beruf und ordentlicher Aufgabenerfüllung. Andere wiederum legen besonderen Wert auf die sportliche Karriere der Bewerber. Im Team können nur jene Personen arbeiten, die bereits als Jugendliche eine Mannschaftssportart erfolgreich betrieben haben, so die implizite Annahme.
Wann immer Manager Ansprüche dieser Art hochhalten kann man sicher davon ausgehen, dass sie sich diese Kriterien selbst in hohem Maße zuschreiben bzw. sich darüber definieren. Manager mit hohem Anspruch an ihr äußeres Erscheinungsbild tun sich schwer, Bewerber zu akzeptieren, die zu ihrem Kurzarmhemd Krawatte oder – noch schlimmer – weiße Socken tragen. All dies ist menschlich nachvollziehbar. Professionell ist diese Form der Personalauswahl nur selten.
Hat etwa die Beherrschung der Rechtschreibregeln eine prädiktive Validität im Hinblick auf beruflichen Erfolg? Kann man aufgrund Rechtschreibemängel beruflichen Misserfolg vorhersagen? Die Antwort ist einfach: nur dann, wenn Rechtschreibung für den in Frage kommenden Job oder das Unternehmen relevant ist. Von der Rechtschreibefähigkeit auf Intelligenz, Teamfähigkeit, allgemeine Zuverlässigkeit oder sonstige Kompetenzen zu schließen ist aus wissenschaftlicher Sicht Unfug. Die Sache wird auch nicht besser, wenn die angesprochenen Manager auf ihre ausgeprägt Menschenkenntnis bzw. auf langjährige Beobachtungen verweisen.
Man bezeichnet solche Auswahlregeln auch als Heuristiken. Sie sind meist einfach und verfolgen das Ziel, mittels einfacher Regeln komplexe Sachverhalte zu beurteilen. Die bekannten Bauernregeln fallen in eine vergleichbare Klasse. Heuristiken sind nicht grundsätzlich falsch. Im Gegenteil. Meist bergen sie einen wahren Kern und sind im Alltag nicht selten hilfreich. „Hunde, die bellen beißen nicht“. Aber ihr Wahrheitsgehalt ist dennoch vergleichsweise überschaubar.
Es gibt mindestens vier Gründe, warum man auf Heuristiken der oben beschriebenen Art im Rahmen der Personalauswahl besser verzichten sollte.
Die Einstellung eines neuen Mitarbeiters ist mit gewissen Risiken behaftet. Dabei wiegt die Gefahr, den Falschen einzustellen höher als den Richtigen abzulehnen. Es geht darum, die Leistung eines Bewerbers valide vorherzusagen, was je nach Komplexität der Aufgabe mit einer entsprechenden Komplexität bei der Auswahl einhergeht. Sich nun auf eine Heuristik zu verlassen wird dieser Komplexität gerade in wissensintensiven Berufen selten gerecht. Dieser Punkt wiegt umso schwerer als in der Personalauswahl hinreichend valide Alternativen zur Verfügung stehen, um bestimmte, berufsrelevante Kriterien einzuschätzen.
Gerade in wissensintensiven Bereichen arbeiten Mitarbeiter zunehmend in Teams. Dabei müssen nicht alle Teammitglieder in allen Dingen gleichermaßen kompetent sein. Vielmehr kommt es darauf an, dass sich die Mitarbeiter in ihren Stärken und Schwächen gegenseitig ergänzen. Diese Idee widerspricht dem Ansatz, Bewerber kategorisch und aufgrund singulärer Kriterien auszuschließen. Ich kann mir kaum ein funktionierendes Team vorstellen, das etwa die Rechtschreibschwäche eines Einzelnen nicht verkraften könnte. Selbst der Legastheniker im Team mag Stärken haben, die die Schwächen Anderer im Team kompensieren.
Auch wenn es bei so manchen Managern noch nicht angekommen zu sein scheint: wir bewegen uns insbesondere in den westlichen Industrieländern in einen akuter werdenden Fachkräftemangel. Welches Unternehmen möchte es sich angesichts dieser Entwicklung leisten, einen ansonsten überzeugenden Kandidaten abzulehnen nur weil er in seiner Jugend keine Mannschaftssportart betrieben hat bzw. weiße Socken trägt?
Der entscheidende Grund gegen Heuristiken in der Personalauswahl ist aber die geringe Akzeptanz des „Verfahrens“ auf Seiten der betroffenen Bewerber. Ich will den Geschäftsführer sehen, der seine Ablehnung gegenüber einem Kandidaten ehrlich damit begründet, das Auto des Bewerbers sei am Tag des Interviews leider zu verdreckt gewesen. Es mag zu der Notwendigkeit, eine Begründung abzuliefern nicht kommen, trotzdem sollte die Fähigkeit, offen zu seiner Entscheidung stehen zu können handlungsleitend sein – zumindest wenn man den Anspruch hat, seinen Gegenübern mit Respekt begegnen zu wollen.
Im Personalmanagement können wir seit Jahren eine zunehmende Professionalisierung feststellen. Nicht alles ist Gold, aber Personalmanagement als Profession ist auf dem guten Weg. Anforderungen berufsrelevant zu definieren und Auswahlinstrumente adäquat einzusetzen ist in seiner Komplexität ein nicht zu unterschätzendes Handwerk von dem aber leider zu viele Manager glauben, es sei ihnen in die Wiege gelegt worden. Der Ruf des Personalmanagements leidet schon immer darunter, dass jeder im Unternehmen glaubt zu wissen, was gut und sinnvoll ist. Manager, die Heuristiken anwenden und am Ende sogar noch stolz darauf sind gehören aus meiner Sicht in diese Liga. Sie tun damit weder sich, noch ihrem Unternehmen und zuallerletzt den Kandidaten einen Gefallen. Deshalb: bitte keine Bauernregeln in der Personalauswahl. Bitte nicht!