Eine Top-Führungskraft muss strategisch denken können und dabei immer die Kernkompetenzen des Unternehmens, die Märkte und Kunden im Blick haben. Sie muss in der Lage sein, harte Entscheidungen zu fällen, Veränderungen voranzutreiben und Mitarbeiter empathisch aber bestimmt durch diese zu führen. Top-Führungskräfte sind Umsetzer, Gestalter, für die nur Ergebnisse zählen. Interkulturell sensitiv muss eine obere Führungskraft sein, auf allen Kontinenten zuhause und dabei immer auch ein Teamplayer, ein Vorbild für jeden – mit sichtbaren Wertvorstellungen. Erfolgreiche Führungskräfte sind visionär, haben klare Ziele vor Augen, nehmen ihre Mitarbeiter mit und können diese begeistern. Dabei bieten sie ihnen Entwicklungschancen, sind Lehrer, Mentor und Coach zugleich.
Eine Top-Führungskraft muss ihr Leben vollständig auf den Beruf und das Unternehmen ausrichten können, immer bereit sein für den Ernstfall – überall auf der Welt. Top-Führungskräfte kennen ihre Prioritäten. Fremdbestimmte Meetings und Telefonkonferenzen im 30-60-Minutentakt sind grundsätzlich wichtiger, als gemeinsames Frühstücken mit der Familie, Hausaufgaben, Gutenachtgeschichten. Die Erziehung der Kinder muss man anderen überlassen können, dem Partner oder der Nanny. Top-Führungskräfte können dies perfekt managen, orchestrieren – sogar aus der Distanz. Als Vorbilder sind Top-Führungskräfte vor dem ersten Mitarbeiter im Büro und verlassen das Schiff als letzte. Als Führungskraft kann man abgesägt werden – Mutter oder Vater bleibt man sein ganzes Leben. Die wirklich Erfolgreichen wissen das und sind in der Lage, ihre Ängste geschickt zu kanalisieren.
Wenn in einem Unternehmen in regelmäßigen Beurteilungsrunden Führungsnachwuchskräfte (High-Potentials) nominiert und identifiziert werden, darunter 30, 40 Prozent Frauen sind, es aber am Ende nur wenige Frauen in die oberen Etagen schaffen läuft im Talentmanagement dieses Unternehmens etwas grundlegend falsch. Die wenigsten weiblichen High-Potentials, die sich irgendwann eine Elternzeit erlauben erreichen eine obere Führungsposition. Ähnliches gilt für die immer größere werdende Zahl so genannter „Weicheier“ – Männer, die in Elternzeit gehen. Die überwiegende Mehrheit von Frauen auf Führungsebenen bleibt kinderlos.
Es geht mir an dieser Stelle weder um Gleichberechtigung oder um Diversity. Auch will ich kein Anwalt weiblicher Karriereaspirantinnen sein. Es geht hier einzig und allein um die Frage, inwieweit die Kultur in einem Unternehmen klugen, talentierten und hoch motivierten Menschen erlaubt, einen individuellen und ausgewogenen Lebensentwurf zu verwirklichen. Noch heute stellen die meisten Unternehmen im Rahmen ihrer Nachwuchsförderung Kompetenzen in den Vordergrund. Welche Superstar-Eigenschaften muss man mitbringen um „nach oben“ zu kommen? Diese gelten als Referenzrahmen bei der Auswahl und Förderung der Talente.
Nun sind Kompetenzmodelle und gut gemeinte Prozesse eines Talentmanagements das eine. Die Kultur im Unternehmen ist das andere. Wenn Kultur mit gut gemeinten Prozessen konkurriert verlieren immer die Prozesse. Am Ende scheitert ein nicht unerheblicher Teil an talentierten, motivierten Hoffnungsträgern an völlig asozialen Anforderungen geprägt durch eine fremdbestimmende Präsenzkultur. Schade nur, dass diese Kultur und ihre konkrete Bedeutung zum Zeitpunkt der Nachwuchsnominierung nur selten gemeinsam mit den Betroffenen reflektiert werden.