Was soll ich machen?

Kürzlich stolperte ich über das wunderbare Zitat von Theodor Storm: „Der eine fragt: Was kommt danach? Der andre fragt nur: Ist es recht? Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht“. Das erinnerte mich an zwei klassische Fragen, die Führungskräfte von ihren Geführten chronisch gestellt bekommen. Die eine Frage lautet: „Was soll ich machen?“ und die andere „Ist das in Ordnung so?“. Meist folgt die zweite Frage der ersten, nur eben zeitversetzt.

Nun sollte man in eine einzige Frage sicherlich nicht mehr hineininterpretieren, als es angebracht ist. Trotzdem will ich eine Hypothese über die empfundene Führungskraft-Geführten-Beziehung aufseiten eines Mitarbeiters wagen, wenn dieser wieder einmal die Frage „Was soll ich machen?“ stellt.

Gehen wir praktischerweise von dem typischen Fall aus, es bestünde tatsächlich ein konkretes Problem, das ein Lösung erfordert. Irgendetwas unerwartetes ist passiert oder es läuft etwas nicht ganz so, wie es sein sollte. Und nun kommt sie, die berühmte, millionenfach gestellte Was-soll-ich-machen-Frage. Wir wissen nicht exakt, was in dem Mitarbeiter in diesem Moment vorgeht. Aber folgende impliziten oder expliziten Annahmen scheinen naheliegend:

  • Ich kann oder will oder darf nicht über eine Lösung nachdenken. Ich bin in meinem Denk- und Handlungsvermögen intern, extern oder in beidem limitiert. Deshalb frage ich lieber eine Instanz, die weniger limitiert ist, als ich.
  • Meine Führungskraft kann und will über eine Lösung nachdenken. Sie ist mir in ihren Möglichkeiten und Kompetenzen überlegen. Deshalb liegt es an ihr, über eine Lösung nachzudenken und mir zu sagen, was ich tun soll. Das erwartet sie in einer solchen Situation auch.

Natürlich ist diese Sichtweise auf die eigene Beziehung zur Führungskraft für den Mitarbeiter eine sehr einfache oder gar eine bequeme. Man vermeidet den eigenen Aufwand und minimiert das Risiko einer Fehlentscheidung. Und als Führungskraft wahrt man die Kontrolle.

Nun habe ich an dieser Stelle wiederholt auf die unterschiedlichen Rollen hingewiesen, die Führungskräfte einnehmen können: Boss, Coach, Partner und Befähiger. Mit der Was-soll-ich-machen-Frage drängt ein Mitarbeiter seine Führungskraft in die Boss-Rolle. Im Sinne des großartigen Paul Watzlawick und seiner Axiome menschlicher Kommunikation, wird mit dieser Frage ein Verständnis der Beziehung transportiert. Der Mitarbeiter stellt also nicht nur eine inhaltliche Frage, sondern vermittelt, wie er oder sie das Führungsverständnis seiner Führungskraft und damit die Führungskraft-Geführten-Beziehung interpretiert. Es liegt nun in der Verantwortung der Führungskraft, zu entscheiden, ob sie dieses Verständnis teilt bzw. akzeptiert. Alltäglich gefragt, müsste sich die Führungskraft fragen, ob sie sich diesen Schuh anzieht. Wenn sie das tut und sich primär in der Rolle des Bosses sieht, ist zunächst alles fein. Ansonsten besteht Klärungsbedarf. Tatsächlich erfordern viele Führungsumwelten genau das: einen Boss. Wir wollen diese Rolle und das entsprechende Mitarbeiterverhalten also nicht pauschal verteufeln.

Wird aber dieser mögliche Klärungsbedarf weder erkannt noch adressiert, sind Missverständnisse, Frustration, geringere Zufriedenheit und reduzierte Produktivität die natürlichen Folgen. Der Knecht stellt gehorsam seine Was-soll-ich-machen-Frage, meint damit, das Richtige zu tun und die Führungskraft fühlt sich ihrerseits unwohl in der Situation, den Knochen auf den Tisch geworfen zu bekommen. „Meine Güte, er weiß doch, was zu tun ist. Warum habe ich ihn, wenn ich am Ende alle Probleme selbst lösen muss?“

Eine Form, das eigene Führungsverständnis zu vermitteln besteht sicherlich im konkreten Handeln. Wie würde eine Führungskraft also reagieren, wenn sie sich diesen Schuh nicht anzöge und eine Rolle präferierte, die von der Boss-Rolle abweicht?

  • Als Coach wird sie fragen, was der Mitarbeiter denn selbst vorschlägt, was zu tun sei. Die Führungskraft geht davon aus, dass der Mitarbeiter über das notwendige Potenzial verfügt, selbst über eine geeignete Lösung nachzudenken.
  • Als Partner lädt die Führungskraft den Mitarbeiter ein, gemeinsam über das Problem nachzudenken, um dann gemeinsam zu entscheiden, was gemeinsam zu tun sein. Gemeinsam, gemeinsam, gemeinsam.
  • Als Befähiger fragt sich die Führungskraft, was der Mitarbeiter benötigt, um selbst zu einer Lösung zu gelangen und diese umzusetzen. Oder sie fragt direkt: „Was brauchen Sie?“.

Als Führungskraft ist es unsere Aufgabe, unser Führungsverständnis zu definieren und es kontinuierlich und konsequent zu vermitteln. Dies fordert ein hohes Maß an Achtsamkeit, nicht selten minütlich. Dazu gehört es auch, bewusst auf Fragen, wie die Was-soll-ich-machen-Frage zu reagieren. Das ist nicht immer einfach und erfordert aufseiten der Führungskraft eine kontinuierliche Selbstreflexion.

Erstaunlich eigentlich, wie viel man in Bezug auf eine einzige, einfache Frage über Führung lernen kann.

Mein Buch zur Thematik

In diesem Buch steht nicht, was das „richtige“ Führungsverständnis ist. Es wird gezeigt, wie man es entwickelt, vermittelt und danach handelt.

Mein Ansatz im Überblick

Hier finden Sie einen Überblick über meinen Ansatz. Er ist erprobt und funktioniert. Führungskräfte schätzen ihn.