Es gibt eine Idee, die scheinbar nie ausstirbt. Die Rede ist vom „gemeinsamen Führungsverständnis“, das man entwickeln und implementieren möchte. Die Situationen wiederholen sich. In Anbetracht notwendiger Transformationen erkennt man zurecht, dass sich Führung im Unternehmen irgendwie ändern muss. Mehr Vertrauen, Vernetzung, Eigenverantwortung, Kundenzentriertheit etc. Also macht man sich auf den Weg und definiert, wie Führung im 21sten Jahrhundert, in Zeiten zunehmender Dynamik und Geschwindigkeit auszusehen hat. Und sobald man dieses Führungsverständnis, meist in Form eine Führungsleitbildes ausformuliert hat, werden alle Führungskräfte von oben nach unten und von links nach rechts im Sinne dieses Führungsideals indoktriniert.
Das klingt zwar gut und irgendwie richtig. Aber, es funktioniert nicht und die Gründe hierfür liegen eigentlich auf der Hand.
In einem und demselben Unternehmen sind Führungskräfte mit meist sehr heterogenen Führungsumwelten konfrontiert. Es macht eben einen Unterschied, ob man ein Team führt, bei dem die Abläufe klar definiert sind, die Führungskraft fachlich überlegen ist und man eher arbeitsteilig unterwegs ist. Oder ob man ein Team führt, bei deren Arbeit weder die Ergebnisse noch die Wege dorthin klar sind, die Mitarbeiter vernetzt und in Teams kooperieren und die Geführten der Führungskraft fachlich überlegen sind. Kann man ein Team von LKW-Fahrer nach demselben Führungsverständnis führen, wie ein Team von Wissenschaftlern? Sicher nicht!
Führungskräfte sind Menschen und Menschen unterscheiden sich. Diese Feststellung sollte nun auch nicht überraschen. Sie unterscheiden sich in ihren fachlichen Hintergründen, in ihren Präferenzen und Neigungen, in ihren Kompetenzen und vor allem in ihrer Persönlichkeit. Die beiden Führungskräfte Jürgen und Martina werden schon allein deswegen unterschiedlich führen müssen, weil Jürgen und Martina zwei unterschiedliche Individuen sind. Wir wollen doch alle Diversity und Inklusion. Sollten wir dann Individualität nicht besonders wertschätzen, sie respektieren und die Potenziale dieser Vielfalt erkennen? Ich denke schon.
Ich habe in meiner Karriere schon sehr viele Führungsleitbilder gesehen und musste immer wieder feststellen, wie sehr sie sich inhaltlich gleichen. Das überrascht auch nicht. Versucht man wirklich, einen gemeinsamen Nenner zu finden, dann landet man unweigerlich bei moralischen Grundsätzen und einem Spiegelbild des Zeitgeistes, weil nur diese wirklich als konsensfähig erscheinen. Und dann fragt man sich, was Respekt, Vertrauen, Flexibilität, Teamgeist im turbulenten Alltag konkret bedeuten. So wichtig und aktuell diese moralischen und gesellschaftlichen Werte auch sein mögen, sie taugen nicht, um Führungskräften im Kontext ihrer besonderen Rahmenbedingungen eine handlungsrelevante, alltagstaugliche Orientierung zu geben. Sie sind schlichtweg zu abstrakt.
Führungskräfte sind erwachsene Menschen, denen wir die Fähigkeit zur eigenen Reflexion zutrauen sollten. Sie sind in der Lage, ihre Führungsumwelt, ihre Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie wirken, einschätzen zu können. Sie sind grundsätzlich in der Lage, ihre individuellen Besonderheiten zu erkennen. Sie sind in der Lage, zu reflektieren, was all dies für ihr persönliches Führungsverständnis bedeutet. Könnten sie all dies nicht, sollten sie auch nicht führen. Brauchen sie dafür gegebenenfalls eine strukturierte Unterstützung und Begleitung? Davon ist auszugehen.
Ich plädiere für eine Vielfalt der Führung. Vielfalt der Führung heißt nicht, männliche Führungskräfte durch weibliche Führungskräfte auszutauschen. Vielfalt der Führung bedeutet, individuelle Führungsverständnisse nicht nur zuzulassen, sondern dies auch zu fördern. Wenn fünf Führungskräfte in einem Raum sitzen und man ihnen die Frage stellte, wie sie führen, dann bedeutete Vielfalt der Führung, dass man fünf unterschiedliche Antworten erhielte. Wenn ein Führungsverständnis „gemeinsam“ sein sollte, dann weniger zwischen unterschiedlichen Führungskräften, sondern vielmehr zwischen der Führungskraft und ihren Geführten.
In diesem Buch steht nicht, was das „richtige“ Führungsverständnis ist. Es wird gezeigt, wie man es entwickelt, vermittelt und danach handelt.
Hier finden Sie einen Überblick über meinen Ansatz. Er ist erprobt und funktioniert. Führungskräfte schätzen ihn.