Die narzisstische Führungskraft

Selbstreflektion ist eine wesentliche Voraussetzung, um als Führungskraft wirksam und erfolgreich sein zu können. Sie umfasst die Entwicklung eines klares Rollenverständnisses innerhalb eines Führungskontexts und davon ausgehend die Entwicklung einer funktionierenden Führungskraft-Geführten-Beziehung, in der die eigene Rollendefinition und die Rollenzuschreibung der Geführten in Einklang stehen.

Es gibt aber eine bestimmte Gruppe von Führungskräften, bei der diese Form der gesunden Selbstreflektion an harte Grenzen stößt. Die Rede ist von narzisstischen Führungskräften.

Man geht, davon aus, dass circa 1 Prozent der Bevölkerung diese Persönlichkeitsstörung aufweist. Dabei leben Männer ihren Narzissmus tendenziell offener aus, als es Frauen tun, was es allerdings nicht besser macht. Ein Narzisst kann das Leben zahlreicher Mitarbeiter und Kollegen zur Hölle machen, weswegen man von einem deutlich größeren Kreis Betroffener ausgehen muss. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass Narzissten aufgrund ihrer ausgeprägten Ambition, ihrer Energie, ihrer unbedingten Leistungsbereitschaft und ihrer Strahlkraft nicht selten höhere Chancen auf eine Beförderung haben.

Woran erkennt man einen narzisstischen Chef? Zunächst gar nicht! Eine Beziehung zu einem Narzissten ist auch im Kontext einer Führungskraft-Geführten-Beziehung zunächst wunderbar. Der Himmel auf Erden, totale Wertschätzung, innige Verschmelzung, Dream-Team. Erst nach einer gewissen Zeit kommt die ganze Härte der Persönlichkeitsstörung zum Vorschein.

Nun kann man sich an einer Heuristik orientieren, der 4-E-Regel. Narzissten sind egozentrisch, handeln entwertend, sind überaus empfindlich und weisen eine Empathie ohne Mitgefühl auf.

Das schauen wir uns nun genauer an.

Egozentrismus. Ein narzisstischer Chef muss im Mittelpunkt stehen und will chronisch bewundert werden. Alles, was getan wird, muss auf ihn strahlen. Man arbeitet „für“ ihn, nicht mit ihm. Er sieht sich als das Zentrum des Universums. Das Ich ist wegweisend. „Ich will ..“, „Ich erwarte ..“, „Ich habe aber gesagt, dass ..“. Der Narzisst pflegt Social-Media-Auftritte, in denen seine Person die meist beliebige Botschaft überstrahlt. Narzisstische Chefs überhöhen sich, können unablässig darüber referieren, wie toll sie sind, was sie alles geleistet haben, lenken jede Kommunikation auf ihre Außerordentlichkeit. Die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge verschwimmt. Andere, Kollegen, Mitarbeiter haben im Umfeld eines Narzissten keinen Raum. Deren Rolle beschränkt sich darauf, Applaus zu spenden und dem Chef zu weiterer Strahlkraft zu verhelfen.

Entwertung. Ab einer bestimmten Phase werden Kollegen und Mitarbeiter genüsslich klein gemacht, um selbst als Überlegener aus dem Rennen zu gehen. Das erfolgt subtil, mittels manipulativer Maßnahmen. Gaslighting ist so eine Taktik. Der Narzisst vermittelt dem Mitarbeiter das Gefühl, komplett neben der Spur zu sein. „Wie? Sie haben das nicht gewusst?“, „Das passiert Ihnen jetzt aber nicht zum ersten mal, oder?“. Ignorieren, an die Wand laufen lassen, Kollegen vor versammelter Mannschaft entblößen. Das Repertoire scheint endlos und überaus kreativ oder geschickt.

Empfindlichkeit. Man sollte es nie nie nie wagen, einem Narzissten zu widersprechen oder ihm irgendeinen Wunsch nicht zu erfüllen. Ansonsten gnade Dir Gott! Ein Narzisst erwartet ausschließlich Anerkennung, Wertschätzung und bedingungslose Liebe, von der er als Kind meist vergebens geträumt hat. Alles, was nicht in diese Kategorien passt, überfordert den Narzissten hoffnungslos. Sie leiden dann wirklich. Es ist nicht möglich, einem Narzissten konstruktives Feedback zu geben. Gerade in diesem Aspekt zeigt sich die eigentliche, infantile Schwäche des Narzissten.

Empathielosigkeit. Es wird oft gesagt, Narzissten seien empathielos. Das sind sie aber nur auf eine bestimmte Weise. Tatsächlich verstehen sie ihr Gegenüber extrem gut. Sie kennen die Softspots und wissen, wie sie Andere manipulieren und dadurch zur Verzweiflung bringen können. Ihre tiefe Einsicht in die Psyche Anderer löst aber keinerlei Mitgefühl als. Im Gegenteil. Sie schützen sich vor den Gefühlen Anderer, was sie beispielsweise zur geschickten Anwendung des so genannten Heiße-Kartoffel-Prinzips befähigt. Anstatt eigene Schmerzen, Verletzungen oder narzisstische Kränkungen zu bewältigen, lassen sie Andere diese austragen. Während der Chef bereits ambitioniert auf dem Golfplatz steht, zermürbt sich der Mitarbeiter in heftigstem Selbstzweifel. Letzteres merkt der Narzisst nicht, oder es ist ihm schlichtweg egal.

Wie gesagt, diese Heuristiken sind nur Daumenregeln. Wir sind heute schnell dabei, Chefs als Narzissten zu bezeichnen, vielleicht auch, um die eigene Gekränktheit und Verletzlichkeit von uns zu weißen. Eine echte Diagnose kann nur ein Profi ausstellen. Schade nur, dass Narzissten eher selten nach psychologischer Beratung fragen. Gut für den Psychologen, könnte man meinen. Am Ende würde vermutlich der Therapeut selbst an sich zweifeln.

Was tun, wenn man einen narzisstischen Chef hat? Die Antwort ist ziemlich klar. Renne, so schnell Du kannst und breche alle Brücken ab. Alle! Verzichte auf eine Erklärung. Tu’s einfach. Ist das immer so einfach möglich? Nein, natürlich nicht. Für Viele beginnt die eigentliche Hölle erst nach dem Abschied oder nach der freiwilligen Kündigung.

Die funktionierende Führungskraft-Geführten-Beziehung

Die Reflexion des eigenen Führungsverständnisses und der jeweiligen Führungsumwelt ist für eine funktionierende, vertrauensvolle Beziehung zu den Geführten unerlässlich