Wirksame Führung 10 Hypothesen

10 Hypothesen zu wirksamer Führung im Alltag

#1: Erfolgreiche Führungskräfte verstehen ihre aktuelle und zukünftige Führungsumwelt, in der sie als Führungskraft gegenüber ihren Geführten wirken.

#2: Führungskräfte können vier distinkte Rollen einnehmen. Man kann folgende Rollen unterscheiden: die des Bosses, des Coaches, des Partners und des Befähigers.

#3: Je nach Führungsumwelt sind bestimmte Rollen geeigneter und andere weniger geeignet. Die richtigen Rollen ergeben das Führungsverständnis, das über Funktionalität oder Dysfunktionalität der Führung entscheidet.

#4: Erfolgreiche Führungskräfte haben ein klares Führungsverständnis. Sie kennen ihre primären Führungsrollen und ihren Rollenmix.

#5: Es liegt in der Verantwortung der Führungskraft, ihren eigenen, geeigneten Führungsverständnis zu definieren, und nicht in der Verantwortung der Geführten oder des Unternehmens.

#6: Wirksame Führung setzt voraus, dass in der Führungskraft-Geführten-Beziehung ein gemeinsames Führungsverständnis besteht. Erfolgreiche Führungskräfte vermitteln daher ihre Rolle gegenüber ihren Geführten.

#7: Eine Führungskraft kann ihr Führungsverständnis nur oder vor allem dann wirksam umsetzen, wenn ihre nächsthöhere Führungskraft sie lässt.

#8: Erfolgreiche Führungskräfte sind in der Lage, alle vier Rollen einzunehmen. Manche Situationen erfordern ein Abweichen von den primären Rollen.

#9: Gute Führung erfordert eine kontinuierliche, bewusste Reflexion des eigenen Rollenverständnisses und geeigneter Verhaltensoptionen in Bezug auf konkrete Führungssituationen.

#10: Führungsinstrumente helfen, das eigene Führungsverständnis in die Tat umzusetzen. Sie funktionieren nur dann, wenn sie mit den primären Führungsrollen kompatibel sind.

Diese zehn Hypothesen beschreiben mein Führungsmodell, dass ich ausführlich in meinem 2022 erschienenen Buch „Das richtige Führungsverständnis. Wie Sie Ihre Führungsrolle definieren, vermitteln und wirksam umsetzen“ (Heidelberg: SpringerGabler) erläutert habe und in immer mehr Unternehmen praktisch angewandt wird.

BLOG Wertschätzung

Die wahre Bedeutung von Wertschätzung

Kunden bezahlen nicht dafür, dass wir uns chronisch liebhaben

Es ist schön, wenn man gelobt wird, von wem auch immer, vom Chef, von Kollegen oder von Kunden. Keine Frage. Natürlich wünscht man sich, dass die eigene Leistung, der eigene Beitrag sichtbar wird und Anerkennung findet. Und so wundert es nicht, wenn Mitarbeiter genau dies wünschen. Dies findet unter anderem seinen Widerhall in den üblichen Mitarbeiterbefragungen, in denen wiederholt und in vielen Unternehmen zum Ausdruck kommt, die Mitarbeiter wünschten sich mehr Wertschätzung.

Nun stellt sich die Frage, wie Unternehmen auf diesen, nachvollziehbaren Wunsch reagieren sollten und ob dies überhaupt ihre Aufgabe ist. Letzteres wird von vielen Arbeitgeber nicht bezweifelt. Schließlich geht man implizit davon aus, Wertschätzung wäre ein relevanter Faktor in Bezug auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter und die Attraktivität als Arbeitgeber. Und im Nu sieht man strategische Themen, wie Leistung und Loyalität berührt. Und dann könnte man dazu neigen, Wertschätzung mit Feedback verwechselt. Und wer mag an der Bedeutung von Feedback für das Thema Lernen bezweifeln? Die Dinge sind aber etwas vielschichtiger, als sie zunächst scheinen.

Zunächst zu Letzterem. Wertschätzendes Lob und Feedback sind zwei unterschiedliche Dinge. Lob ist ein sozialer Verstärker, der den Gelobten dazu bringen soll, das geleistete bei nächster Gelegenheit zu wiederholen. Ähnlich wie bei einem Like in den sozialen Medien geht es meist eher um die Verstärkung der Beziehung als um eine ehrliche Reaktion auf irgendein Verhalten oder einen Beitrag. Wertschätzendes Lob muss freiwillig erfolgen, sonst funktioniert es nicht. Die Aufforderung „Bitte, lob mich mal!“ macht ehrliches Lob im selben Moment unmöglich. Ganz anders verhält es sich bei konstruktivem Feedback. Feedback rückt weniger den Menschen, sondern sein Verhalten in den Mittelpunkt. Es dient dazu, etwas besser zu machen, Verhalten zu ändern. Anders als Lob, sollte Feedback aktiv eingefordert werden, während unaufgefordertes Feedback nicht selten als anmaßend aufgefasst wird. Wenn also Unternehmen so genannte Feedback-Apps einführen, um laterales, kontinuierliches Feedback zu fördern, erhalten die Rezipienten meist unaufgefordertes Lob, und eben nicht Feedback. Dies liegt schlichtweg in der psychologischen Natur der Akteure.

Betrachten wir aber nun das Phänomen der Wertschätzung selbst. Man mag denken, Wertschätzung sei gleichbedeutend mit Lob, weil Lob grundsätzlich als Akt der Wertschätzung gesehen und erlebt wird. Echte Wertschätzung im Unternehmenskontext kann und sollte aber etwas anderes bedeuten. Wertschätzung ist die Investition in die Ideen und Sichtweisen eines Anderen. Ein praktisches Beispiel mag dies verdeutlichen: Ein Kollege artikuliert eine Idee. Wertschätzung könnte nun bedeuten, ihn dafür zu loben. „Hey Jürgen, Deine Idee finde ich wirklich ganz toll“. Das wäre für alle Beteiligten sicherlich die einfachste Reaktion und man fragt sich, inwieweit sich der Lobende wirklich mit der Idee auseinandergesetzt hat. Echte Wertschätzung bedeutet aber, dass sich der Andere intensiv mit der Idee auseinandersetzt, sich Zeit nimmt, sich in die Idee hineindenkt, sie reflektiert, darüber nachdenkt und am Ende möglicherweise den Mut aufbringt, sie kritisch und differenziert zu beurteilen.

In der Wissenschaft ist dies üblich. Hier wird sehr kritisch diskutiert, was für den Kritisierten nicht immer einfach auszuhalten ist. Wertschätzung bedeutet aber eben nicht, sich kontinuierlich auf die Schultern zu klopfen. Kunden bezahlen nicht dafür, dass sich Mitarbeiter eines Unternehmens chronisch liebhaben, sondern dafür, dass in einem Unternehmen hart und differenziert in der Sache um bestmögliche Lösungen gerungen wird. Dies wiederum erfordert kontroverse Auseinandersetzungen. Sich mit den Ideen und Sichtweisen eines Anderen auseinanderzusetzen ist anstrengend, eine echte Investition. Wir sollten daher lernen, zum Teil heftige, sachliche Kritik an eigenen Ideen nicht als Angriff, persönliche Abwertung, Diskriminierung oder Exklusion aufzufassen, sondern als ein Akt der Wertschätzung. Dabei ist es wichtig, diese Form der Wertschätzung auf sachlicher und nicht auf persönlicher Ebene zu praktizieren. Dafür braucht es entsprechende Räume, Gelegenheiten und nicht selten ein gewisses Maß an Diskretion. Öffentliche Kritik (Wertschätzung) etwa in den sozialen Medien kommt nicht immer gut an. Vor allem aber erfordert Wertschätzung die Bereitschaft des Wertgeschätzten, diese auch anzunehmen, so paradox dies auch auf den ersten Blick erscheinen mag.

Identitätspolitik in 9 Thesen

Identitätspolitik in 9 Thesen

Ideologisch geprägter Irrweg oder konstruktiver Ansatz für mehr Gerechtigkeit?

Zahlreiche Meinungsbeiträge, Aktivitäten oder Lösungsvorschläge zu den Themen Diversity, Inklusion und Equity basieren implizit oder explizit auf einer Reihe von Thesen, die einer identitätspolitischen Sichtweise entsprechen.

#1. Die soziale Wirklichkeit besteht aus abgrenzbaren Gruppen basierend auf Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung etc. Identität ergibt sich aus der (zum Teil selbstbestimmten) Zugehörigkeit zu einer oder mehreren Gruppen.

#2. Es gibt eine Ungleichheit in den Lebensbedingungen (Privilegien, Ressourcen etc.) zwischen den Gruppen. Dies ist ungerecht und muss bekämpft werden. Benachteiligte Gruppen werden als marginalisierte Minderheiten gesehen.

#3. Die Bedingungen der marginalisierten Minderheit sind die Folge einer Unterdrückung durch die unterdrückende Mehrheit. Es gibt Opfer und Täter. Es liegt an der unterdrückenden Mehrheit, sich zu ändern.

#4. Von Natur aus sind alle Menschen gleich. Unterschiede zwischen den Gruppen entstehen durch die Umwelt, in der die Mitglieder der Gruppen aufwachsen und leben. Sie sind also nicht genetisch bedingt.

#5. Ein (verblendetes) Mitglied der unterdrückenden Mehrheit kann sich nicht in die Erfahrungen und Sichtweisen der marginalisierten Minderheit versetzen. Mitglieder der marginalisierten Minderheit haben daher das natürliche Vorrecht, sich zu ihrer Situation und zu Lösungen zu äußern.

#6. Das Erleben eines Mitglieds der marginalisierten Minderheit entscheidet darüber, ob es sich bei einem beobachteten Verhalten um Hass oder Diskriminierung handelt. Das Erleben ist entscheidend, nicht die Intention des Akteurs.

#7. Ein Mitglied der unterdrückenden Mehrheit hat nicht das Recht, den Mitgliedern der unterdrückten Minderheit eine Mitverantwortung für ihre Situation zuzuschreiben oder sie in irgendeiner Weise zu kritisieren.

#8. Wer eine oder mehrere der obigen Hypothesen oder von der marginalisierten Gruppe vorgebrachte Lösungen in Frage stellt, handelt moralisch verwerflich und ist ein X-ist (Sexist, Rassist etc.).

#9. Es besteht eine moralische Verpflichtung, X-isten das Recht abzusprechen, ihre Sichtweisen, öffentlich zu artikulieren. Dafür mag auch die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt sein, wenn die öffentliche Hand zu versagen scheint.

Es ist grundsätzlich richtig und wichtig, Thesen jedweder Art kritisch, konstruktiv und nach Möglichkeit evidenzbasiert zu reflektieren und die gesellschaftlichen Folgen zu bedenken.

BLOG Gallup

Is Gallup’s Disengagement Drama Fake? At least it is often cited

According to Gallup’s recent worldwide study in 2017 only 15% of all employees in the world are engaged. Since years Gallup shares the dramatic news, around 8 out of 10 employees are either not engaged or (even worse) actively disengaged. Taken this seriously, you are probably not engaged. Most of your colleagues, friends, and relatives are not engaged. Most employees you meet at stores, airports, hospitals, and universities are not engaged. Even the majority of Gallup’s workforce might not be engaged, maybe.

Disengagement sells. Gallup did a great job over the last few years to gain executives’ attention built on news, which probably are misleading, dare I say it, fake. This seems to be another version of the here-is-the-problem-but-luckily-we-have-the-solution-business-model.

I have spent hours reading reports, news and even articles published in scientific (peer-reviewed) journals written by Gallup fellows and have not yet found any definition of what „engagement“ or „active disengagement“ means in statistical terms. The statistical or scientific basis of what have become one of the most cited studies in management has never been disclosed. It has been kept as a secret. Why is that? Obviously 100s or 1,000s of keynote-speakers, consultants, executives, and bloggers sharing the dramatic output delivered by Gallup do not exactly know what they are talking about.

What we do know is the following: Since years Gallup is using its Q12-Questionnaire, which consists of 12 questions. Those 12 items did never change substantially, for reasons of comparability of course. Speaking of these questions, they reflect a kind of outdated and hierarchical view on leadership, anyway. For instance, one question goes like this: “I know what is expected of me at work”. Respondents then have the choice to select one option out of five ranking from 5 (strongly agree) to 1 (strongly disagree). The same applies for the remaining 11 items such as “I have a best friend at work” or “This last year, I have had opportunities at work to learn and grow”. What initially had started as a tool for workplace auditing (Gallup Workplace Audit) miraculously transformed into a tool supposed to measure employee engagement without having substantially changed its content. But, working conditions – as measured by the Q12 – and employee engagement are two different concepts even though there might be a connection between the two. Even Gallup reports a correlation of limited magnitude only between what the Q12 measures and business outcomes on business unit level. I guess employee engagement sells better than workplace conditions.

I have spent years in the employee survey business and have been involved in dozens of global surveys using similar items like Gallup does, which by the way, I would never do so again for multiple reasons even though I have published two books on that particular practice of satisfaction and engagement surveys (but this is a different story). Once you ask employees to evaluate their working conditions or estimate their satisfaction with whatever it is at work, you more or less receive a bell curve with a slight tendency towards the positive end.

It is quite astonishing how constant and stable these results turn out when asking a big enough sample. One might separate different responses as shown in the following picture:

There is always a minority of employees considering themselves as being totally satisfied. Working conditions are seen as perfect. There is a majority in the middle with a slight tendency towards the positive end of the continuum. To those people working conditions are fine but could be improved. And, of course, there is always a minority of employees, which is kind of pissed-off. They evaluate their working conditions as bad and expect significant changes.

While the Q12 measures employees‘ view on their working conditions Gallup strangely translates results into what they name employee engagement.

Now it comes the critical question: Where does Gallup make the cut between the so called engaged, the not engaged and the actively disengaged ones? What is Gallup’s definition? We simply do not know. Wherever Gallup is doing the cut, probability is high that a picture is drawn, which is more dramatic than reality actually is. Even though Gallup has never been clear about the cut, they offer a definition of how employees in the different groups behave. Gallup describes „not engaged“ employees (the middle segment) as follows: “Employees are essentially ‚checked out‘. They’re sleep-walking through their workday, putting time – but not energy – or passion into their work”.

This is even more confusing, since there is literally no reason to draw such extreme conclusions or characterizations based on the content of the Q12-questions (working conditions). And again, Gallup refuses to explain, where this typology actually comes from. It definitely sounds more like arbitrary horoscope than as insights based on serious social science.

Gallup is an institute of top reputation. Its founder, George Gallup, has been a leading pioneer in its field, really a great man and a role model for generations of social scientists to come. What surprises me though is the fact that, Gallup is keeping a secret around its most cited outcomes. What is going on here?

So, why is this bothering me? I am a social scientist and expect clarity as all good social scientist do. Published scientific results must be replicable so that others could repeat studies in the same manner. Empirical methods and outcomes not being communicated in a clear way are useless in the eyes of the scientific community.

In times of fake news we have to be careful, as we all have learned in the last few months and years. Whenever I find myself listening to a keynote even of reputable speakers, chances are high to again hear about Gallup’s disengagement drama. Then, my first thoughts are always: Fake, fake, fake. I cannot hear it anymore. Should I stand up and ask the speaker: “Hey, have you read the report? Could you tell, how these numbers you’ve just presented have been calculated?”. I better don’t, but silently I continue questioning myself whether or not I should seriously take home the remaining parts of the keynote.

Above all this, what bothers me most is the way Gallup dares to slap billions of employees all around the globe. Gallup draws a picture of the global workforce, which probably is worse than it actually is. By doing so, Gallup consciously hurts global economy, while filling its own pockets. Executives who believe in the Gallup drama treat their people accordingly. Considering employees as being lazy, dumb “not engaged” or “actively disengaged” (as Gallup puts it) might lead to management practices that will not move companies forward.

In certain ways, Gallup actively prepares the ground for mistrust and control, which is the opposite of what many companies and employees desperately need. We all could imagine what results delivered by Gallup do to a regular executive. He/she might think: „I never thought how dramatic things are“. According to the hindsight bias he/she might add: „But somehow I felt it in advance“. What might be the consequences? More trust? More autonomy and self-determination? Probably not.

SMARTe Ziele hat es nie gegeben

SMARTe Ziele hat es nie gegeben

„Sauberkeit, Pünktlichkeit, Ordnung“. Das ist es, was man zu Lesen bekommt, wenn man einen Blick auf die jährlichen Zielvereinbarungen vieler Mitarbeiter unterschiedlichster Unternehmen wirft. Ganz offensichtlich hat das, was im Rahmen unzähliger, aufwendiger, jährlicher Mitarbeitergespräche vereinbart wird nichts mit der Theorie zu tun, wonach man Ziele SMART formulieren soll: spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch, terminiert.

„Die Führungskräfte oder die Mitarbeiter haben das nicht kapiert. Sie nehmen das Verfahren nicht ernst. Wie kann das sein, in Anbetracht all der Schulungen und Verfahrenshinweise? Im Gesprächsformular steht doch sogar ausdrücklich, dass man sich an die SMART-Regel halten soll.“ So, oder so ähnlich klingen die schockierten Reaktionen.

Finde den Fehler.

Der Fehler liegt weder bei den Führungskräften und noch weniger bei den Mitarbeitern, sondern im Verfahren an sich. In zahlreichen Aufgabenwelten ist die Vereinbarung SMARTer Ziele schlichtweg nicht möglich und erst recht nicht sinnvoll. Da helfen auch keine Schulungen, Appelle, Handbücher, Formulare, Leitfäden etc.

Viele Mitarbeiter verfolgen Aufgaben, die in einem hohen Maße repetitiv sind. Das gilt nicht nur für den klassischen Bandarbeiter, Kassierer, Busfahrer, Verkäufer im Warenhaus, Hotline-Mitarbeiter, Housekeeping im Hotel sondern auch für Lehrer, Pflegekräfte, Polizisten etc. Sie halten die Geschäfte, den Betrieb am Laufen. Dabei verfolgen sie keine individuellen Jahresziele sondern allgemeine Leistungs- und Qualitätsstandards. Darin liegt ein erheblicher Unterschied, den man spätestens dann merkt, wenn man mit einem Vertreter der oben genannten Berufsgruppen tatsächlich versucht, im Januar Ziele für die kommenden 12 Monate SMART zu vereinbaren. Die Sache entwickelt sich zur Farce. Führungskräfte verbiegen sich. Man sucht verzweifelt nach Dingen, die man in das (verdammte) Formular eintragen könnte. Am Ende mündet das Drama in die Feststellung, man möge doch einfach seine Arbeit tun. OK? Punkt. Aber das will der bemühte (oder besser: bemühende) Personaler so nicht hören.

Standards, oder gemeinsam vereinbarte Leistungs- und Qualitätsansprüche hingegen sind äußerst sinnvoll. Hier geht es um gemeinsame Ansprüche an die Arbeit. Wann sind wir erfolgreich? Was bedeutet gute Arbeit konkret? Woran machen wir gute Leistung fest? Der Unterschied zu Zielen liegt vor allem darin, dass diese zwar regelmäßig reflektiert werden sollten, aber nicht jährlich vereinbart werden müssen. Außerdem betreffen diese Standards selten nur einzelne Individuen sondern meist mehrere Mitarbeiter. Alle Busfahrer, alle Pflegekräfte, alle Kassierer, alle Lehrer. Warum also ein individuelles Gespräch? Wäre eine gemeinsame Besprechung der Standards nicht weitaus sinnvoller?

Darüber sollten viele Unternehmen mal nachdenken. Mit einer smarten Lösung (im Sinne von intelligent) würde man an vielen Stellen erheblich Zeit sparen, etwas sinnvolleres tun und Irritationen vermeiden.

BLOG Pre-Mortem-Analyse

Mit der Pre-Mortem-Analyse Misserfolge frühzeitig antizipieren und daraus lernen

Aus der Sozialpsychologie kennt man einen gruppendynamischen Effekt, der kritische und kontroverse Auseinandersetzungen gefährdet. Die Rede ist vom so genannten „Gruppendenken“ (Groupthink). Der Psychologe Irving Janis machte in den Achtzigerjahren darauf aufmerksam, dass geschlossene Gruppen mit charismatischen Führungspersönlichkeiten eine natürliche Tendenz zeigen, sich vor kritischen Argumenten zu verschließen und im Rausch der Unverwundbarkeit in der Lage sind, erstaunlich irrationale Entscheidungen zu fällen. So manche werden dies aus eigenen Erfahrungen bestätigen. Man hat so lange und hart an einer Idee, an einem Konzept gearbeitet, dass man einen Irrtum kategorisch ausschließt. „Die Sache muss funktionieren. Es kann gar nicht anders sein“. Auf diesem Wege sind vermutlich schon tausende von Projekte und Geschäftsideen nach harter Arbeit gescheitert.

Wenn eine Idee scheitert, werden im Nachhinein nicht selten Stimmen laut, die sagen, man hätte dies eigentlich schon im Vorfeld irgendwie geahnt, aber sich nicht getraut auszusprechen. Man sagt, im Nachhinein sei man immer schlauer, dabei war bereits vor dem Scheitern ausreichend Intelligenz vorhanden, das Scheitern zu antizipieren. Insofern kann es sich lohnen, diese Intelligenz bereits vor dem Scheitern zu nutzen. Man kann dies in Form einer so genannten Pre-Mortem-Analyse tun. Diese Methode erfordert erheblichen Mut und Offenheit: Mitglieder des Projektteams und Personen, die nicht zu dem Projekt gehören schließen sich für längere Zeit ein und entwickeln Gründe, warum ihr Projekt scheitern würde. Wie bei einem Brainstorming ist wirklich alles erlaubt. Es geht darum, eine Idee, ein Konzept, ein Projekt gnadenlos auseinanderzunehmen und so stark wie möglich mit kritischen Argumenten zu belasten. Warum wird das Employer-Branding-Projekt ein Misserfolg? Warum wird Broadbanding als neues Modell der Vergütung nicht funktionieren? Warum wird die Mitarbeiterbefragung nichts bringen? Warum wird die neue Form der Talentidentifikation scheitern? Im Grunde geht es um die vorweggenommene Beantwortung der Frage, warum der viel zitierte Kaiser keine Kleider anhat. Am Ende wird es darum gehen, mit den kritischen Argumenten umzugehen. Das Risiko besteht freilich darin, dass am Ende dieser Analyse so starke Zweifel an der Idee bestehen, dass man sie beerdigen muss – lieber jetzt als später. Überlebt die Idee, geht sie gestärkt, aber niemals unverändert aus dieser Übung hervor.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus meinem neuen Buch Neue Personalstrategien zwischen Stabilität und Agilität, erschienen bei SpringerGabler, Heidelberg (2018).

BLOG Wem gehört KPI?

Wem gehört die Kennzahl?

Sobald wir im HR irgendetwas praktisch angehen lässt die Frage nicht lange auf sich warten, wie der angestrebte Erfolg denn zu messen sei. Schon lange hat sich die Ansicht durchgesetzt, man müsse gerade im HR mess- und überprüfbar sein. Das hat in gewisser Weise auch mit Daseinsberechtigung zu tun.

So wurden wir in den vergangenen Jahren nicht müde, eine Schlüsselkennzahl (Key Performance Indicator, KPI) nach der anderen aus dem Hut zu zaubern. Alles kann gemessen werden, irgendwie, solange man die Validität einer Kennzahl nicht zu genau unter die Lupe nimmt. Heute kennen wir Kennzahlen, wie Anteil Frauen in Führungspositionen, Offer-Acceptance-Rate, Mittlere Führungsspanne, Übernahmequote nach Probezeit, Beförderungsquote, Anzahl Bewerbungen im Jahr, Interviews-per-Hiring, Cost-per-Hire, Arbeitgeberranking, Mehrarbeitsquote, Umsatz pro Mitarbeiter, Fluktuationsquote, Personalkosten pro Mitarbeiter, Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse, Mitarbeiterzufriedenheit, Ausbildungsquote, Personalaufwandsquote, Bewerberzufriedenheit, Versetzungsquote, Mitarbeiterempfehlungsquote, Krankheitstage, Weiterbildungstage pro Mitarbeiter und Jahr, Time-to-Fill, Einstellungsquote, Fehlzeitenquote, Trainingsaufwand pro Mitarbeiter, Hiring-Manager-Satisfaction, Mittlere Dauer der Betriebszugehörigkeit, Interne Besetzungsquote, Fluktuationsquote in der Probezeit, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Mein Eindruck bestätigt sich immer wieder, dass wir erhebliche Energie auf die Frage verwenden, wie etwas gemessen werden kann. Dabei ist dieser Aspekt von untergeordneter Bedeutung. Die viel wichtigere Frage ist: Wem gehört diese Kennzahl? Die Antwort auf diese Frage entscheidet darüber, ob wir es mit Feedback oder Kontrolle zu tun haben. Je nachdem werden sehr unterschiedliche Dynamiken angestoßen.

Gehört eine Kennzahl dem verantwortlichen Team oder den einzelnen Mitarbeitern selbst, dann dient die Kennzahl in erster Linie als Grundlage für Feedback. Das Team hat sich selbst ein Ziel gesteckt und nutzt die Kennzahl zur eigenen Orientierung. Diese Situation ist mit einem Hobby-Sportler vergleichbar, der sich ein sportliches Ziel gesetzt hat (z. B. 10 km Laufen in unter 50 Minuten) und nun seinen Trainings-Fortschritt überprüft.

Im Falle von Kontrolle gehört die Kennzahl einer hierarchisch übergeordneten Autorität. Sie dient dazu, die Leistung Anderer, meist hierarchisch untergeordneter Instanzen zu kontrollieren ohne selbst etwas zum Erfolg aktiv beizutragen. Im Falle eines Nicht-Erreichen folgen formale Urteile, die meist extrinsisch determinierte Konsequenzen nach sich ziehen.

Kennzahlen für Feedback-Zwecke zu nutzen ist grundsätzlich ratsam. Man will wissen, wo man als Mitarbeiter oder Team steht, relativ zu selbst gesteckten Leistungsansprüchen. Kennzahlen hingegen als Kontrollinstrument einzusetzen kann toxische Wirkungen entfalten. Die Liste, wissenschaftlich evidenter Nebenwirkungen ist erstaunlich lang. Hier eine kurze Auswahl aus dem Beipackzettel:

  • KPIs werden unter allen Umständen erreicht. „You get what you want“, auch wenn die Kennzahl nicht das eigentliche Leistungsniveau widerspiegelt.
  • Andere, eigentlich selbstverständliche Ansprüche (z. B. Qualität, Einhaltung ethischer Standards) verlieren zu Gunsten der Kennzahl an Bedeutung und könnten korrumpiert werden.
  • Leistungen werden geschönt. Hauptsache die Kennzahl stimmt. Der Kreativität sind hier selten Grenzen gesetzt. Dabei sollte die Kreativität betroffener Akteure nicht unterschätzt werden.

Von zentraler Bedeutung ist also weder die Kennzahl an sich noch deren Art und Weise der Ermittlung sondern in erster Linie die soziale Dynamik, die mit der Nutzung einer Kennzahl einher geht. Es geht um Feedback oder Kontrolle. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arbeits- und Organisationspsychologen – und nicht Ihren Controller.

Individuelle Boni | Ein echtes Dilemma

Wer individuelle Leistung honoriert, begeht einen Fehler.
Wer es nicht tut, möglicherweise auch.

Spätestens seit dem legendären TED-Talk von Dan Pink über die Rätsel der Motivation hat es sich herumgesprochen, dass leistungsabhängige Anreize bei kreativen Aufgaben die intrinsische Motivation zugunsten extrinsischer Motivation verschiebt, was am Ende zu einer geringen Leistung führt. Die dahinterstehende, empirische Evidenz ist außerordentlich robust. Nicht nur das. Auch subjektiv sind diese Ergebnisse gut nachvollziehbar. Sobald jemand lernt, etwas nur noch der Belohnung wegen zu tun, wird diese Person einen geringeren Eifer an den Tag legen, als jemand, der aus innerem Antrieb heraus eine Aufgabe in Angriff nimmt.

Diesen Befunden liegt ein wiederkehrendes, experimentelles Paradigma zugrunde, bei dem zwei Gruppen unabhängig voneinander eine Aufgabe lösen bzw. sich kreativ betätigen (z. B. Bilder malen). Der einen Gruppe wird eine Belohnung in Aussicht gestellt, der anderen nicht. Am Ende zeigt sich, dass bei kreativen Aufgaben die Gruppe ohne Belohnung mehr leistet als die Gruppe mit Belohnung. Entzieht man der Gruppe mit Belohnung dieselbe, geht ihre Leistung komplett in die Knie. Vieles, was wir über die motivationale Wirkung von Anreizen wissen, basiert auf diesem, einfachen Paradigma.

In zahlreichen Unternehmen haben die daraus resultierenden Befunde die Überlegung untermauert, von variablen Anreizen gerade in kreativen Bereichen abzusehen – eine Tendenz, die von zahlreichen Wissenschaftler und Vordenkern regelrecht bejubelt wird.

Weiteren Vorschub erlangte die Abschaffung individueller Boni aus einem weiteren, vielleicht noch wichtigeren Grund. Wir wissen heute, dass individuelle Ziele gepaart mit individuellen Anreizen nicht nur die intrinsische Motivation bedroht, sondern auch die Bereitschaft mindert, Teamziele über individuelle Ziele zu stellen. Individuelle Boni lassen Kollegen in Konkurrenten mutieren. Und das will man zuallerletzt.

Diese beiden Erkenntnisse, gepaart mit der Einsicht, dass in einer modernen Arbeitswelt Kreativität und Teamwork entscheidend sind, legten den praktischen Schluss nahe, konsequent von individuellen Boni abzusehen. Individuelle Anreize erscheinen bestenfalls dann geeignet, wenn (langweilige) Aufgaben repetitiv und arbeitsteilig erbracht werden.

Soweit ist man sich einig. Die wissenschaftliche Grundlage und ihre praktische Implikation sind eindeutig und ich gehe hundertprozentig mit. Aber so einfach sind die Dinge leider dennoch nicht. Tatsächlich haben wir es hier mit einem fundamentalen Dilemma zu tun, für das es meiner Kenntnis nach keine Lösung gibt.

Ja, wenn man Mitarbeiter individuell und leistungsabhängig belohnt, kann das ihre intrinsische Motivation und ihre Teamorientierung schwächen. Wenn aber gerade leistungsstarke Mitarbeiter nicht leistungsbezogen honoriert werden, gefährdet man nicht nur deren Motivation, sondern auch deren Loyalität zum Unternehmen. Boni auf Teamebene allein demotivieren besonders leistungsstarke Teammitglieder.

An dieser Stelle folgt üblicherweise der Einwand, in Teams gäbe es keine individuelle Leistung. Teamwork sei ein System interdependenter Aufgaben und Akteure und es käme allein auf die Teamleistung an. Es ginge um das gemeinsame Zusammenspiel und nicht um das Agieren einzelner Stars. Entweder das Team sei insgesamt erfolgreich oder keiner. Individuelle Erfolge seien in Teams nicht vorgesehen. Wer dies trotzdem tue, habe nicht verstanden, was Teamwork sei.

Natürlich ist vor allem relevant, was ein Team insgesamt erreicht, Trotzdem folge ich dieser Argumentation nur zum Teil. Selbstverständlich gibt es auch in Teams, die interdependent arbeiten, Leistungsunterschiede. Auch wenn das Pricesche Gesetz, wonach die Hälfte des Outputs einer Gruppe von einer Quadratwurzel der Gruppenmitglieder geleistet wird, oder das bekannte Pareto-Prinzip nur bedingt anwendbar sind, müssen wir dennoch davon ausgehen, dass der Teamerfolg natürlich und häufig von der Leistung Weniger abhängig ist. Um es einfacher und plastischer auszudrücken: Jedes Team hat seinen Messi. Vielleicht braucht jedes erfolgreiche Team seinen Messi.

Dabei geht es hier weniger um die Frage, wie man Leistung operativ misst, sondern vor allem um das subjektive Erleben der Akteure. Menschen sind diesbezüglich außerordentlich sensibel, nicht weil sie das durch Sozialisation erlernt haben, sondern weil hier mentale, unbewusste Strukturen dominieren, die bereits viele Millionen Jahre alt sind. Eine als unfair wahrgenommene Behandlung führt zu teilweise extremen, emotionalen Abwehrreaktionen. Man kann dies an Tieren demonstrieren, wie es beispielsweise Frans de Waal (Der Affe in uns) eindrucksvoll demonstriert hat.

Erinnern wir uns an das eingangs erläuterte, experimentelle Paradigma: Zwei Gruppen erbringen eine Leistung, die eine wird belohnt, die andere nicht. Was passiert nun mit der nichtbelohnten (in den meisten Experimenten leistungsstärkeren) Gruppe, wenn sie wüsste, dass die andere Gruppe für die gleiche Tätigkeit eine Belohnung erhält? Nicht nur deren intrinsische Motivation würde kollabieren, sondern auch deren Bereitschaft, überhaupt an dem Experiment weiterhin teilzunehmen. Das klassische, experimentelle Paradigma, auf dessen Befunde so viele Unternehmen immer mehr vertrauen, ignoriert soziale Vergleichsprozesse, was nichts daran ändert, dass gerade diese in der realen Arbeitswelt im Erleben und Verhalten der Mitarbeiter massiv zum Tragen kommen.

In der Konsequenz heißt dies, dass man seinen Messi entweder demotiviert oder langfristig verliert, sollte er nicht besser vergütet werden als seine Kollegen. Wer Leistung individuell honoriert, begeht einen Fehler. Wer es nicht tut auch. Welcher Fehler ist nun größer? Ich weiß es nicht. Was sollte ein Unternehmen nun tun? Auch das vermag ich nicht allgemein einzuschätzen.

Natürlich sehen wir in der Praxis Lösungsversuche. Inwieweit uns diese aber wirklich aus dem Dilemma retten, können wir meines Wissens nur schwer beurteilen. Man könnte die Mitarbeiter selbst entscheiden lassen, wie sie den Kuchen aufteilen, gepaart mit lateralen Beurteilungsverfahren. Die soziale Dynamik, die damit ausgelöst würde, ist in hohem Maße komplex und kann wohl kaum pauschal bewertet werden. Man könnte von monetären Anreizen absehen und andere Anreize einräumen. Man denke hier an Privilegien, an das Belohnen von Verantwortungsübernahme durch noch mehr Verantwortung etc. Macht das wirklich einen Unterschied? Eine objektivierte, transparente oder gar demokratisch durchgeführte Bewertung von Leistungskriterien (einschließlich individueller und demonstrierter Teamfähigkeit) läge technisch nahe, scheint mir aber in der Praxis aufgrund der Vielschichtigkeit des zu beurteilenden Konstrukts in Gänze kaum machbar. Bereits vorhandene Ansätze in dieser Richtung (z. B. im Zusammenhang mit bestimmten Tarifverträgen) weisen bereits eindeutig auf die Grenzen und die Dysfunktionalität dieser Idee hin. Weder Mitarbeiter noch Führungskräfte sind in der Lage, auf valide Weise relevante Kriterien einzuschätzen. Wenn sie trotzdem urteilen, dann fühlen sie mehr, als dass sie rational urteilen. Taktisches Handeln ist die Folge. So sind nicht einmal wissenschaftlich geschulte Experten in der Lage, Konstrukte, wie beispielsweise Kreativität einzuschätzen. Grundsätzlich ist es wichtig, bei einer besonderen Belohnung leistungsstarker Kollegen, sicher zu sein, dass die Anderen diese individuelle Überlegenheit anerkennen und eine höhere Entlohnung als gerechtfertigt erachten.

Bleibt jenseits von diesen Überlegungen die Option auf beides zu verzichten, auf individuelle und Teamboni. Man sollte nicht vergessen, dass Boni immer nur den Zweck verfolgen, Menschen zu motivieren. Es geht um das Wollen, nicht um das Können. Man macht Menschen durch Geld nicht leistungsfähiger. Hinter Boni steht immer die Annahme, dass Mitarbeiter und Teams ohne das in Aussicht stellen variabler Belohnung weniger gewollt sind, gute Arbeit zu leisten. Diese Annahme ist fraglich. Entscheidender könnte die Frage sein, was ein Unternehmen bezahlen muss, um leistungsfähige und motivierte Mitarbeiter überhaupt zu gewinnen und zu halten. Wir sprechen hier von der akquisitorischen Funktion des Geldes. Diese Idee mündet in die simple Strategie, Mitarbeiter lediglich ein wettbewerbsfähiges Grundgehalt zu zahlen. Nicht mehr und nicht weniger.

Was am Ende bleibt ist die Notwendigkeit, eine strategische Entscheidung zu fällen. Strategische Entscheidungen sind unter anderem deshalb strategisch, weil sie schwer zu fällen sind. Das Gegenteil der präferierten Option sollte ebenfalls sinnhaft erscheinen. Sonst wäre die Entscheidung nicht strategisch, sondern bestenfalls naheliegend.

BLOG Active Sourcing

Active Sourcing ist super aufwendig

Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass es im Arbeitsmarkt drei Arten von Menschen gibt, nämlich die nicht suchenden, die aktiv suchenden und die passiv suchenden. Nicht Suchende sind an keinerlei Veränderung in ihrer Karriere interessiert. Die aktiv Suchenden sind das genaue Gegenteil. Sie stehen unter Druck und wünschen sich eher heute als morgen einen neuen Job, oder einen Job überhaupt. Die Passiven haben meist einen Job, sind aber für Neues aufgeschlossen.

Nun ist eine logische Konsequenz, dass man die nicht Suchenden nicht erreicht und es aktiv Suchende aufgrund der Engpässe in den Arbeitsmärkten kaum gibt. Bleiben die passiven Aufgeschlossenen. Diese muss man als Arbeitgeber aktiv finden und ansprechen, die Grundidee von Active Sourcing. Dieser Begriff „Active Sourcing“ wurde in den späten 90ern erfunden und ist übrigens ein deutsches Wort, ähnlich wie „Public Viewing“. Mir ist Stand heute kein international gebräuchlicher Begriff für Active Sourcing bekannt.

Nun könnte man meinen, Active Sourcing sei im Grunde einfach. Man sucht passende Leute etwa auf LinkedIn, spricht sie an und die Dinge nehmen ihren Lauf. Vielleicht könnte man das Ganze auch mittels künstlicher Intelligenz automatisieren. Ich denke, das ist falsch gedacht.

Aber eins nach dem Anderen.

Wo ergibt die aktive Suche und Ansprache potenzieller Kandidaten überhaupt einen Sinn? In erster Linie ergibt Active Sourcing dann einen Sinn, wenn es um die Besetzung singulärer, schwer zu besetzender Positionen geht. Das sind solche Positionen, wo viele Unternehmen reflexartig nach dem Personalberater rufen. Man spricht hier auch von der „Schwierigen Expertensuche“. Ich suche einen Experten für internationales Steuerrecht oder einen Betriebsarzt um nur zwei typische Beispiele zu nennen. Hier lohnt sich weder eine Employer-Branding-Kampagne noch der Aufbau einer Talent Community.

Active Sourcing ist super aufwendig. Das wird spätestens dann klar, wenn man sich vor Augen führt, welche grundsätzlichen Prämissen im idealen Fall befolgt werden sollten:

  • Man benötigt ein Job-spezifisches Arbeitgeberversprechen, dass nur mit Menschen erarbeitet werden kann, die diesen Job wirklich kennen. Dasselbe gilt für relevante Suchkriterien.
  • Man muss sich mit den Kandidaten wirklich persönlich auseinandersetzen. Alles andere ist insbesondere für die Kandidaten lästig und kaum wertschätzend.
  • Man bemüht aktiv die einschlägigen Netzwerke aktueller und ausgewählter Kollegen. Man wartet nicht auf Empfehlungen sondern fordert sie ein.
  • Die persönliche Ansprache von Kandidaten sollte durch einen möglichst erfahrenen Vertreter aus dem Fachbereich erfolgen, also besser nicht durch einen Personaler oder Personalberater und schon gar nicht durch eine Maschine.
  • Spreche nur Kandidaten an, die ernsthaft in Frage kommen könnten. Man sollte Kandidaten nicht unnötig heiß machen.
  • Vertreter der Fachbereiche und insbesondere die einstellende Führungskraft benötigen in Folge der Ansprache sehr viel Zeit um für persönliche, teils lange Gespräche zur Verfügung zu stehen.
  • Auch der gesamte Auswahlprozess im Falle eines Interesses muss im Sinne eines bestmöglichen Kandidatenerlebens schnell, wertschätzend und transparent sein.

Ja, gerade große Unternehmen haben ein natürliches Bestreben, Aktivitäten und Prozesse möglichst skalierbar und effizient zu gestalten. Meist geht es ja um Masse. Entsprechend erleben wir aktuell eine zunehmende Debatte über die Industrialisierung der Kandidatensuche und -ansprache. Die grundsätzliche Frage ist aber, ob man auf Effizienz oder auf Effektivität setzt. Effizienz mag einfach sein mit den nötigen technischen Mitteln. Bei der Personalgewinnung kann Erfolg aber vor allem bedeuten, effektiv zu sein. Ob wir es wollen oder nicht, Effektivität hat einen hohen Preis.

Center of Expertise. Network of Experts

Vom Center of Expertice zum Network of Experts

„HR kann im Grunde jeder“ hört man so manche Kollegen zuweilen sagen. Diese Ansicht ist schlichtweg falsch. Nicht selten wird sie durch den Hinweis ergänzt, es käme eher auf Business-Erfahrung an. Können Sie eine wirksame Employer-Branding-Kampagne entwickeln und umsetzen? Sind Sie in tarifrechtlichen Fragen sattelfest? Können Sie eine HR-IT-Lösung implementieren? Wissen Sie, worauf es bei der Einführung einer Fachkarriere ankommt? Wissen Sie, was zu tun ist, wenn man akut 30 Softwareentwickler gewinnen und einstellen muss? Die Antwort ist für Nicht-Personaler und selbst für die meisten Personaler klar: Fünf mal „Nein“. Es gibt ein simples wie wahres Grundprinzip, wonach fachliche Komplexität grundsätzlich Expertise erfordert. Dies ist in anderen Funktionen, wie Einkauf, Finanzen, Marketing, Logistik nicht anders. Die Beantwortung der obigen Fragen erfordern genau das, wenn man die Dinge richtig machen möchte.

Unternehmen, die dem verbreiteten Dave-Ulrich-Modell bzw. Drei-Säulen-Modell der Personalorganisation folgen, haben diese Experten in einer eigenen Einheit gebündelt. Wir sprechen vom so genannten Center of Expertice (CoE), das in der Regel im Headquarter angesiedelt ist. Meist spielen sie den so genannten HR Business Partnern, die direkt mit den Fachbereichen zusammenarbeiten die Bälle zu und unterstützen aus der zweiten Reihe heraus. Darüber hinaus entwickeln sie zum Teil umfangreiche Konzepte mit strategischer Bedeutung: Ein neues Talent Management. Eine agile Neuauflage des Performance Management etc. Man hat normalerweise weder mit Menschen noch mit dem Business direkt zu tun. Gegenstand der Bemühungen sind Systeme, Prozesse, Instrumente, KPIs.

Genau darin liegt das Problem. Ich kenne sehr viele HR-Experten in CoEs und bin von deren fachlichem Tiefgang, ihrem Reflexionsvermögen und ihrem inhaltlichen Verständnis nicht selten beeindruckt. Das sind wirklich Profis. Gleichzeitig beobachten wir, dass deren Arbeit viel zu häufig an der Realität vorbei geht, die Ergebnisse zu kompliziert sind, keine Wirksamkeit entfalten, sich manchmal für das Business sogar als schädlich erweisen. Das wollen diese Kollegen im HR nicht. Im Gegenteil. Sie wollen einen guten Job machen, wie Andere in anderen Funktionen auch. Das Problem ist struktureller Art. Center of Expertice sind strukturell zu weit von jenen Bereichen getrennt, innerhalb derer sie eigentlich wirken sollen. CoEs sind Silos jenseits der betrieblichen Realität. Darüber hinaus erleben sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht, was Feedback und dadurch Lernen unmöglich macht. Feedback kommt von der nächst höheren Ebene aber selten aus dem Business selbst. Das ist  in gewisser Weise toxisch.

Ich gehe davon aus, dass sich Unternehmen zunehmend von dieser Organisationsform distanzieren werden. Anstatt dessen werden sie wahrscheinlich auf Netzwerke fachlicher Experten setzen  – Networks of Experts (NoEs). NoEs sehen sich in erster Linie den jeweiligen personalrelevanten Herausforderungen gegenüber verpflichtet und jenen Kollegen, die mit diesen konfrontiert sind. Von Letzteren erhalten sie auch nicht nur ihre Aufträge sondern unmittelbares Feedback. Bei Experten kann es sich um Interne wie Externe handeln. Gerade bei Herausforderungen, die mit einer hohen sozialen Dynamik verbunden – und das ist im HR-Kontext häufig der Fall – arbeiten NoEs eng mit Kollegen aus den Fachbereichen zusammen und teilen die Verantwortung.

Die Liste möglicher, beispielhafter Einsätze ist endlos. Ein Unternehmensbereich sucht möglichst schnell deutlich mehr Data Scientists, als der Markt offenbar hergibt. Ein anderer Unternehmensbereich wird mit einem weiteren Bereich zusammengelegt. Es ergibt sich daraus eine Vielzahl personalrelevanter Fragestellungen. Eine Division denkt über ein neues, variables Vergütungssystem nach, das neben Teamarbeit auch Eigenverantwortung fördern soll. Dem Forschungs- und Entwicklungsbereich schwebt vor, mittels Fachkarrieren strategisch relevante Expertise langfristig zu sichern und attraktive Rahmenbedingungen für Fachexperten zu schaffen.

Einmal kommt eine Art Talent-Acquisition-Sonderkommando zum Einsatz und das Andere mal der externe, individuelle Arbeitsrechtler. Bei einem anderen Fall wiederum agieren hochprofessionelle Transformationsbegleiter, während sich an anderer Stelle erfahrene Eignungsdiagnostiker ans Werk machen. Experten befassen sich niemals mit wiederkehrenden Routinen sondern gehen dort hin, wo es brennt. Neben fachlichem Tiefgang verfügen sie über langjährige Erfahrungen in der Anwendung relevanter Arbeitsmethoden, wie sie beispielsweise in Unternehmensberatungen längst üblich sind.

All das eben Beschriebene ist Stand heute hypothetisch und soll bestenfalls zum Nachdenken anregen. Kenne ich Unternehmen, die diesen Ansatz bereits erfolgreich praktizieren? Kaum, oder nur in Teilen. Tatsächlich erlebe ich aber zahlreiche Unternehmen, die über genau diesen Weg nachdenken. Es bleibt spannend.