Mit der Pre-Mortem-Analyse Misserfolge frühzeitig antizipieren und daraus lernen

Aus der Sozialpsychologie kennt man einen gruppendynamischen Effekt, der kritische und kontroverse Auseinandersetzungen gefährdet. Die Rede ist vom so genannten „Gruppendenken“ (Groupthink). Der Psychologe Irving Janis machte in den Achtzigerjahren darauf aufmerksam, dass geschlossene Gruppen mit charismatischen Führungspersönlichkeiten eine natürliche Tendenz zeigen, sich vor kritischen Argumenten zu verschließen und im Rausch der Unverwundbarkeit in der Lage sind, erstaunlich irrationale Entscheidungen zu fällen. So manche werden dies aus eigenen Erfahrungen bestätigen. Man hat so lange und hart an einer Idee, an einem Konzept gearbeitet, dass man einen Irrtum kategorisch ausschließt. „Die Sache muss funktionieren. Es kann gar nicht anders sein“. Auf diesem Wege sind vermutlich schon tausende von Projekte und Geschäftsideen nach harter Arbeit gescheitert.

Wenn eine Idee scheitert, werden im Nachhinein nicht selten Stimmen laut, die sagen, man hätte dies eigentlich schon im Vorfeld irgendwie geahnt, aber sich nicht getraut auszusprechen. Man sagt, im Nachhinein sei man immer schlauer, dabei war bereits vor dem Scheitern ausreichend Intelligenz vorhanden, das Scheitern zu antizipieren. Insofern kann es sich lohnen, diese Intelligenz bereits vor dem Scheitern zu nutzen. Man kann dies in Form einer so genannten Pre-Mortem-Analyse tun. Diese Methode erfordert erheblichen Mut und Offenheit: Mitglieder des Projektteams und Personen, die nicht zu dem Projekt gehören schließen sich für längere Zeit ein und entwickeln Gründe, warum ihr Projekt scheitern würde. Wie bei einem Brainstorming ist wirklich alles erlaubt. Es geht darum, eine Idee, ein Konzept, ein Projekt gnadenlos auseinanderzunehmen und so stark wie möglich mit kritischen Argumenten zu belasten. Warum wird das Employer-Branding-Projekt ein Misserfolg? Warum wird Broadbanding als neues Modell der Vergütung nicht funktionieren? Warum wird die Mitarbeiterbefragung nichts bringen? Warum wird die neue Form der Talentidentifikation scheitern? Im Grunde geht es um die vorweggenommene Beantwortung der Frage, warum der viel zitierte Kaiser keine Kleider anhat. Am Ende wird es darum gehen, mit den kritischen Argumenten umzugehen. Das Risiko besteht freilich darin, dass am Ende dieser Analyse so starke Zweifel an der Idee bestehen, dass man sie beerdigen muss – lieber jetzt als später. Überlebt die Idee, geht sie gestärkt, aber niemals unverändert aus dieser Übung hervor.


Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus meinem neuen Buch Neue Personalstrategien zwischen Stabilität und Agilität, erschienen bei SpringerGabler, Heidelberg (2018).