Und jährlich grüßt das Mitarbeiter­gespräch

Wieder beginnt ein neues Jahr und in den meisten Unternehmen werden sich Szenen, wie die folgende abspielen: Der Chef spricht einen seiner Mitarbeiter an. „Jürgen, können wir uns diese Woche irgendwann für eine Stunde zusammensetzen? Das jährliche Mitarbeitergespräch steht mal wieder an“. Jürgen: „Muss das denn wirklich sein?“. „Ja, das muss sein. Die Personalabteilung besteht darauf. Und Du weißt ja: Don’t mess with HR“. Also setzt man sich zusammen, nimmt das Protokoll vom Vorjahr zur Hilfe und passt das Formular entsprechend an. Man tut sich nicht weh. Die meisten Punkte sind eh klar und am Ende ist HR zufrieden. Andere Mitarbeiter erleben das jährlich Mitarbeitergespräch auf andere Weise: „Ich finde das Mitarbeitergespräch gut. Im Grunde ist das die einzige Gelegenheit im Jahr, um über meine Aufgaben, Arbeitsbedingungen, meine Leistung, Entwicklung und Ziele zu sprechen. Das geht sonst im Alltag unter. Nie bekomme ich sonst so viel Aufmerksamkeit von meinem Chef, wie in diesem Gespräch“. Beide Konstellationen haben etwas Beschämendes an sich. Die erste fühlt sich nach halbherziger Pflichterfüllung gegenüber HR an. Die zweite erinnert an einen vernachlässigten Mitarbeiter, der offenbar auf einen offiziellen, von HR eingeforderten Termin angewiesen ist, um mit seinem Manager über Substanzielles zu sprechen, die anderen 364 Tage im Jahr aber leer ausgeht.

Kein Zweifel. Es ist immer gut, wenn Manager mit ihren Mitarbeitern sprechen aber braucht es dieses jährliche, institutionalisierte Mitarbeitergespräch wirklich? Und in welche Rolle bringen wir uns Personaler, wenn wir dieses Gespräch jedes Jahr aufs Neue einfordern?

Eines ist klar. Schlechte Führung wird durch ein verordnetes Mitarbeitergespräch nicht besser. Da helfen auch keine noch so durchdachten, gut gemeinten Formulare und Instrumente. Und Mitarbeiter und Manager, die das ganze Jahr über ein vertrauensvolles, vielleicht sogar partnerschaftliches Verhältnis pflegen erleben das Mitarbeitergespräch meist als überflüssig. Hierzu eine einfache Analogie. Es ist wichtig, dass Eltern mit ihren Kindern sprechen. Aber man stelle sich vor, das Familienministerium würde ein jährliches Eltern-Kind-Gespräch institutionell einfordern und die betroffenen Eltern müssten die Ergebnisse ihrer Gespräche an die öffentliche Verwaltung berichten. Das würde die Erziehung in Deutschland nicht verbessern. Abgesehen davon würde sich das Familienministerium mit diesem Vorstoß keine Lorbeeren verdienen.

Wir erleben in der modernen Arbeitswelt zunehmend eine Form partnerschaftlicher Führung als Alternative zu traditioneller Führung. Letztere basiert auf dem Prinzip von Weisung und Kontrolle. Partnerschaftliche Führung basiert demgegenüber auf Vertrauen. Damit hat man eine Ebene erreicht, die weiter und besser ist, als jede institutionalisierte Form der Führung jemals zu leisten vermag weil Vertrauen Komplexität reduziert – um hier den bekannten Soziologen Niklas Luhmann zu zitieren. In einem von Vertrauen geprägten Manager-Mitarbeiter-Verhältnis mutet ein institutionalisiertes Mitarbeitergespräch fremd an. Es passt nicht zu der Umgangsform, die man über das Jahr hinweg pflegt. So kann ich mir kaum vorstellen, dass Mick Jagger, der Chef der Rolling Stones jemals ein Mitarbeitergespräch mit Keith Richards durchgeführt hat. Die beiden haben eine andere, überlegenere Ebene der Zusammenarbeit gefunden, wo über Ziele, Erwartungen, Leistung offen gesprochen wird und zwar immer dann, wenn die Dinge anstehen – ohne HR und Formular.

Ich glaube, als Personaler müssen wir besonders Acht auf die Führungskultur geben, wenn wir unsere Organisationen mit einem institutionalisierten Mitarbeitergespräch beglücken, dieses aktiv einfordern, strukturieren und nachhalten. Die Sache wird schneller zur Farce als wir es uns vorstellen wollen. Viele Manager sind weiter, als wir mit unseren gut gemeinten Instrumenten Glauben machen und schlechte Führung können wir damit sicherlich auch nicht retten. Geben wir uns dieser Illusion vor unseren Mitarbeitern und Managern also besser nicht hin. Es bringt uns eher in eine zweifelhafte Position.

Aber was denn dann?

In der Tat gibt es in einem Manager-Mitarbeiter-Verhältnis unabhängig von der gegebenen Führungskultur Fragen, die zum Teil gemeinsam beantwortet werden müssen. Es geht um Aspekte mit unmittelbarer Relevanz für andere Prozesse in einem modernen Personalmanagement. Es geht um Aspekte, die für Mitarbeiter und Manager spürbare Implikationen haben, weswegen es sich für die Betroffenen lohnt, darüber zu sprechen. Ich denke hierbei an die Nominierung von Mitarbeitern als Nachwuchs- oder Nachfolgekandidaten. Ich denke an variable, leistungsabhängige Gehaltsbestandteile, an die persönliche Lebens- und Entwicklungsplanung eines Mitarbeiters. Über diese Dinge muss entschieden werden und meist ist es eine gute Idee, als Manager den betroffenen Mitarbeiter entsprechend einzubeziehen – in einem Gespräch. Diese Dinge können und müssen wir als HR einfordern aber bitte nur diese.

Aber braucht es hierfür ein jährliches, inhaltlich umfassendes und für Alle standardisiertes Mitarbeitergespräch? Ich denke nicht. Als Manager spricht man heute mit einem Mitarbeiter über seine schlechte Leistung. Morgen spricht man mit einem anderen über die Implikationen besonderer Erfolge. Übermorgen diskutiert man mit einem weiteren Mitarbeiter über seine Option, langfristig in einem Nachwuchsprogramm teilzunehmen. Das ist zumindest mein einfaches Verständnis alltäglicher, guter Führung. Relevante Aspekte werden geklärt – individuell und zu seiner Zeit. Ist es sinnvoll, mit jedem Mitarbeiter jährlich, individuell und erneut Ziele zu vereinbaren? Auch hier habe ich meine Zweifel ohne an dieser Stelle die grundsätzliche Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Zielvereinbarungen in einer dynamischen Welt und den aktuell diskutierten Folgen des Burnouts – immer schneller, weiter – eröffnen zu wollen. Mitarbeiter haben häufig Projektziele, die sich aus ihrer natürlichen, täglichen Arbeit ergeben. Bei anderen geht es einfach nur darum, auch zukünftig einen guten Job zu machen und die Kollegen wissen meist, was damit gemeint ist. Wenn nicht, sollte man nicht bis Januar mit der Klärung warten.

Dieser Beitrag ist im Jahr 2012 zunächst beim Harvard Business Manager und danach auf Spiegel-Online erschienen